Mathe für Nicht-Freaks: Axiomatische Mengenlehre
{{#invoke:Mathe für Nicht-Freaks/Seite|oben}}
Es wurden verschiedene axiomatische Mengenlehren entwickelt. Die aktuell gebräuchlichste ist die Zermelo-Fraenkel-Mengenlehre ZFC. Sie ist nach den beiden deutschen Mathematikern Ernst Zermelo und Abraham Fraenkel benannt, die sie von 1908 bis 1922 entwickelten. Das C in der Bezeichnung steht für "Axiom of Choice" (Auswahlaxiom).
Wie am Ende des Kapitels "Russells Antinomie und Klassen" beschrieben, legen wir eine klassentheoretische Sprache zugrunde, in der beliebige Klassen mit dem Klassenbildungsoperator gebildet werden können. Insbesondere ist die Allklasse, für deren Elemente auch die Variablen stehen, und die Russellsche Klasse.
Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Hinweis
Wir wissen bereits, dass nicht alle Klassen Mengen sind, denn es gilt ja . Die Axiome von ZFC sorgen nun dafür, dass viele Klassen Mengen sind. So viele, dass sie für die Mathematik ausreichen. Um die Axiome zu verstehen, hilft die Vorstellung, dass Mengen kleine Klassen sind.
Extensionalität
Das erste Axiom gilt bereits für Klassen:
Die Extensionalität haben wir bereits im 1. Kapitel der Mengenlehre kennen gelernt. Die umgekehrte Richtung () gilt auch, das ergibt sich aus den Eigenschaften von .
Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Frage
Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Frage
Leere Menge
Die leere Klasse hat keine Elemente und ist wie folgt definiert: . Nach dem Extensionalitätsaxiom gibt es nur eine leere Klasse, denn wenn ebenfalls keine Elemente hat, gilt und daraus folgt .
Axiom der leeren Menge Vorlage:Einrücken
Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Frage
Paarmengen
Nicht nur die leere Klasse, auch Klassen mit zwei Elementen sind klein. Das folgende Axiom stellt sicher, dass sie Mengen sind:
Paarmengenaxiom Vorlage:Einrücken
Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Frage
Mit Hilfe des Paarmengenaxioms lassen sich geordnete Paare definieren. Geordnete Paare sind die Elemente des kartesischen Produkts . Während die Reihenfolge der Elemente bei den Paarmengen keine Rolle spielt, ist sie bei geordneten Paaren wesentlich. Im allgemeinen ist und . Zwei geordnete Paare sind nur dann gleich, wenn beide Komponenten gleich sind. Weiterhin sollen geordnete Paare Mengen sein, denn sie sollen ja als Elemente verwendet werden! Insgesamt soll also gelten:
Die heute übliche Paardefinition in der Mengenlehre stammt vom polnischen Mathematiker Kazimierz Kuratowski und ist nach ihm benannt. Die Idee ist folgende: die erste Komponente des geordneten Paares wird als Einermenge, die zweite als Zweiermenge dargestellt und beides wird dann in einer Zweiermenge zusammengefasst:
Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Definition
Wir haben die Definition für beliebige Klassen definiert, aber wenn echte Klassen beteiligt sind, funktioniert das nicht wie gewünscht. Ist beispielsweise eine echte Klasse, so liefert sie zur Zweiermenge keinen Beitrag, denn es gilt: . Für zwei Mengen dagegen erfüllt das Kuratowski-Paar die Anforderungen:
Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Satz
Mit Hilfe von geordneten Paaren kann die gesamte Theorie der Relationen und Funktionen entwickelt werden.
Vereinigung
Wir haben die große Vereinigung von so definiert: . Die Vereinigung sammelt also die Elemente der Elemente von . Die Vereinigung einer Zweierklasse ist gerade die Vereinigung der beiden Elemente:
Vereinigungsmengenaxiom Vorlage:Einrücken
Insbesondere ist eine Menge.
Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Frage
Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Frage Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Frage
Mit den bisher vorgestellten Axiomen können wir folgende Reihe von Mengen erzeugen: Vorlage:Einrücken Die erste Menge hat 0 Elemente, die nächste 1, die nächste 2, die nächste 3, usw. Für die auf folgende Menge sammeln wir alle Elemente von ein und fügen zusätzlich selbst dazu: . Dieses Bildungsgesetz zeigt, dass die Reihe tatsächlich nur Mengen enthält: nach dem Axiom der leeren Menge gilt und wenn so folgt mit dem Paarmengenaxiom . Mit dem Vereinigungsmengenaxiom ergibt sich daraus .
Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Definition Für eine Menge ist ebenfalls eine Menge! Für echte Klassen bringt die Nachfolge nichts: Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Frage
Mit dieser Nachfolger-Funktion lassen sich die natürlichen Zahlen definieren! Auf diese Idee war 1923 der ungarisch-amerikanische Mathematiker John von Neumann gekommen. Er definierte:
usw.
Auf diese Weise lässt sich jede einzelne natürliche Zahl definieren.
Aussonderung
Der große Durchschnitt von wurde so definiert: . Hier werden die Elemente gesammelt, die in allen Elementen von legen. Der Durchschnitt einer Zweierklasse ist der Durchschnitt seiner beiden Elemente:
Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Frage Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Frage Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Frage
Mit den bisherigen Axiomen können wir noch nicht zeigen, dass der Durchschnitt zweier Mengen wieder eine Menge ist. In der zweiten Verständnisfrage haben wir gesehen, dass der Durchschnitt einer nichtleeren Klasse immer eine Teilklasse einer Menge ist. Und es passt gut zu unsrer Vorstellung von kleinen Klassen, wenn solche Teilklassen ebenfalls Mengen sind:
Aussonderungsaxiom Vorlage:Einrücken
Das Axiom gilt für beliebige Klassen . Da es ja zu jeder Formel die Klasse gibt, wird dieses Axiom oft als Axiomenschema bezeichnet.
Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Frage
Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Frage Beide Formulierungen sind gleichwertig zum Aussonderungsaxiom. Denn mit der Definition erhalten wir aus 1. . Und weil ist, folgt daraus 2. . Aus 2. folgt das Aussonderungsaxiom, denn wenn gilt, ist . Zusammen mit der Aufgabe haben wir folgendes gezeigt: Aussonderungsaxiom 1. und 1. 2. und 2. Aussonderungsaxion. Das zeigt, das alle drei Aussagen äquivalent sind. Vgl. Kapitel "Wahrheitstabelle".
Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Frage
Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Frage Oberklassen von echten Klassen sind also ebenfalls echte Klassen und keine Mengen. Das entspricht unserer Vorstellung, dass Mengen kleine Klassen sind.
Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Satz Mit haben wir eine Menge gefunden, die kein Element der Menge ist. Aus dem Hilfssatz ergibt sich, dass die Allklasse keine Menge, sondern eine echte Klasse ist. Denn wäre eine Menge, gäbe es eine Menge , die nicht in läge. ↯ Also gilt:
Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Satz
Anmerkung: Die Konstruktion von entspricht der Russellschen Klasse . Aus dem Beweis des Hilfssatzes ergibt sich auch, dass gilt.
Ist eine Menge, so ist das Komplement eine echte Klasse. Auch hierin spiegelt sich unsere Vorstellung wider, dass Mengen "kleine" Klassen sind! Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Frage
Ersetzung
Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Warnung
Wir benutzen die folgenden Schreibweisen und Definitionen: Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Definition
Ersetzungsaxiom Vorlage:Einrücken
Mit anderen Worten: ersetzt man die Elemente einer Menge durch andere Elemente, so erhält man wieder eine Menge. Auch dieses Axiom gilt für eine beliebige Klasse und wird daher oft als Axiomenschema bezeichnet. Als Anwendung zeigen wir, dass die Vereinigung von mengenvielen Mengen wieder eine Menge ergibt.
Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Satz
Potenzmenge
Zur Erinnerung: . Wir können mit den bisherigen Axiomen nicht nachweisen, dass die Potenzklasse einer Menge wieder eine Menge ist! Daher fordern wir es in einem eigenen Axiom:
Potenzmengenaxiom Vorlage:Einrücken
Wir wollen nun zeigen, dass die Bildung von Potenzmengen zu immer größeren Mengen führt. Unser Vorstellung von Mengen als kleine Klassen wird dabei etwas belastet, aber es ist uns wichtig, dass die Klasse aller Teilmengen einer Menge wieder eine Menge ist.
Mit Hilfe von Funktionen können wir die Größe von Klassen vergleichen, ohne die Anzahl ihrer Elemente zu kennen. Diese Anzahl wird Mächtigkeit genannt. Mit den bisher vorgestellten Axiomen können wir noch nicht genau sagen, was die Anzahl bei Klassen mit unendlich vielen Elementen ist! Wir beschränken uns daher auf den Vergleich von Klassen und nennen eine Klasse schmächtiger oder gleichmächtig zu , wenn es eine injektive Funktion gibt, die in abbildet. Ist schmächtiger als , so ist mächtiger als .
Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Definition
Um zu zeigen, dass echt schmächtiger als ist, müssen also zwei Bedingungen gezeigt werden:
- es gibt eine injektive Funktion von in ,
- es gibt keine bijektive Funktion von auf .
Nach diesen Vorbereitungen können wir nun beweisen, dass eine Menge schmächtiger als ihre Potenzklasse ist.
Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Satz
Unendlichkeit
Mit etwas Aufwand[1] – den wir hier nicht darstellen wollen – lässt sich die Klasse aller natürlichen Zahlen definieren. Dazu reichen die bisher vorgestellten Axiome völlig aus. Wir nutzen hier zur Definition von die Eigenschaft, dass sich die natürlichen Zahlen schrittweise als Nachfolger erzeugen lassen. Klassen, die die leere Menge enthalten und mit jedem Element auch den Nachfolger dieses Elements, heißen induktiv:
Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Definition
Nach dieser Definition sind die natürlichen Zahlen offensichtlich in allen induktiven Klassen enthalten. Wir definieren daher: Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Definition
Achtung! Diese Definition liefert nur dann das Gewünschte, wenn nicht leer ist. Gibt es keine induktiven Mengen, geht der Durchschnitt über die leere Menge und liefert , wie im Abschnitt Aussonderung gezeigt. Es muss also eine induktive Menge geben, damit die Definition von in Ordnung ist. Genau das ist der Inhalt des Unendlichkeitsaxioms:
Unendlichkeitssaxiom Vorlage:Einrücken
Mit dem Aussonderungsaxiom folgt direkt: Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Satz
Da der Durchschnitt in allen induktiven Mengen enthalten ist, ist bezogen auf die kleinste induktive Menge. Die natürlichen Zahlen werden durch die fünf Peano-Axiome beschrieben. Diese werden wir nun nachweisen:
Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Satz
Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Frage
Anmerkung: Das 5. Peano-Axiom wird häufig mit Aussagenformen anstelle von Klassen formuliert:
- sei eine beliebige Aussageform:
Wegen sind mit beide Formulierungen gleichwertig.
Fundierung
Mengen können – im Gegensatz zu echten Klassen – als Elemente auftreten. Dabei kann es zu Merkwürdigkeiten kommen, beispielsweise dass gilt. Wir wollen das näher untersuchen, dabei ist die folgende Definition hilfreich:
Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Definition Wenn also ein -minimales Element in überhaupt Elemente hat, dann liegen sie nicht in . Das folgende Axiom fordert, dass jede nichtleere Menge -minimale Elemente hat:
Fundierungsaxiom Vorlage:Einrücken
Mit diesem Axiom werden keine weiteren Mengen erzeugt, ganz im Gegenteil: Damit werden Folgen wie , , , usw. ausgeschlossen. Es gibt also keine unendlich lang absteigende -Ketten. Daher kommt auch die Bezeichnung "Fundierung". Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Frage Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Frage Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Frage Dieses Axiom hat rein praktische Gründe: auf dieses Weise werden unbequeme Mengen ausgeschlossen und die Mengenlehre wird einfacher. Die Mathematik kommt im Wesentlichen mit fundierten Mengen aus.
Auswahl
Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Warnung
Auswahlaxiom Vorlage:Einrücken
Wir lesen dieses Axiom schrittweise: sei eine beliebige Menge.
Die Prämisse besagt:
Die Konklusion besagt:
Insgesamt heißt das also: Zu einer Menge deren Elemente nicht leer und paarweise disjunkt sind, gibt es eine Menge , die aus jedem Element von genau ein Element enthält, also auswählt. Die Menge ist eine Partition der Menge und die Menge wählt aus jedem Teil der Partition einen Repräsentanten aus:

Das Auswahlaxiom sieht harmlos aus, hat aber erhebliche Auswirkungen. Es gibt eine Reihe von wichtigen Sätzen, die auf der Basis der übrigen Axiome zum Auswahlaxiom gleichwertig sind[2], unter anderem die folgenden:
- Wohlordnungssatz: Jede Menge lässt sich wohlordnen.
- Zornsches Lemma: Ist jede Kette einer halbgeordneten Menge nach oben beschränkt, hat die Menge ein maximales Element.
Wir wollen hier aber die Vorstellung der Axiome von ZFC beenden.
{{#invoke:Mathe für Nicht-Freaks/Seite|unten}}
- ↑ Siehe z.B. Arnold Oberschelp: Allgemeine Mengenlehre. 1994
- ↑ Siehe Wikipediaartikel Auswahlaxiom