Varianten der klassischen Mechanik/ Hamilton'sche Bewegungsgleichungen

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Die im vorangegangenen Kapitel festgestellte Tatsache, dass die Größe I=πqq˙L unter günstigen Voraussetzungen (wie z.B. eine kinetische Energie, die eine homogene Funktion zweiten Grades in der Geschwindigkeit ist und die wie die potenzielle Energie nicht explizit von der Zeit abhängen soll, keine Nicht-Potenzialkräfte sowie evtl. eine verwendete Eichfunktion, die gleichermaßen nicht explizit von der Zeit abhängt) mit der Gesamtenergie zusammen fallen kann, macht sie besonders attraktiv, um mit ihrer Hilfe Bewegungsgleichungen aufzustellen. Denn die Gesamtenergie lässt sich ja genauso leicht angeben wie die natürliche Lagrangefunktion und den Energieerhaltungssatz haben wir ja beispielsweise auch schon zum Auffinden der Bewegungsgleichung beim Federpendel erfolgreich genutzt (siehe Kapitel über Koordinatentransformationen). Das Ziel, verallgemeinerte Koordinaten q möglichst so zu wählen, dass die Lagrangefunktion darin zyklisch wird und somit die zugehörigen verallgemeinerten Impulse πq Konstanten werden, führt zum Bestreben, I mittels des verallgemeinerten Impulses als Funktion von πq statt der Geschwindigkeit q˙ darzustellen: Denn auf diesem Weg könnten Koordinaten durch Konstanten ersetzt werden, wenn sich herausstellen sollte, dass einige (d.h. im hier noch nicht betrachteten mehrdimensionalen Fall, in dem mehrere verallgemeinerte Koordinaten und zugehörige Impulse auftreten werden) verallgemeinerte Impulse Konstanten sind, was das Auffinden von Bewegungsgleichungen sicherlich erleichtern würde.

Gehen wir wieder vom allgemeinen Fall aus, dass wir die (natürliche) Lagrangefunktion L eichen und dadurch die Funktion L~(q,q˙,t)=L(q,q˙,t)+ddtM(q,t) erhalten, sowie neben Potenzial- auch Nicht-Potenzialkräfte f zulassen, so dass sich die Euler-Lagrange-Gleichung zu (ddtq˙q)L~=fxq ergibt. Dann wird der verallgemeinerte oder kanonische Impuls π~q:


π~q(q,q˙,t)=q˙L~(q,q˙,t).


Er kann nun nach der Geschwindigkeit q˙ aufgelöst werden, woraus sich q˙ als Funktion v u.a. des kanonischen Impulses ergibt: q˙=v(q,π~q,t). Nach dem mathematischen Satz über implizite Funktionen ist diese Auflösung aber nur möglich, wenn 0π~qq˙=2q˙2L~ gilt. Diese Funktion setzen wir für q˙ in die "Energiefunktion" I~=π~qq˙L~ ein und erhalten dadurch die sog. "Hamiltonfunktion":


H~(q,π~q,t)=π~qv(q,π~q,t)L~(q,v(q,π~q,t),t),


die somit eine Funktion von q und π~q statt einer Funktion von q und q˙ geworden ist, wie dies ja bei der Lagrangefunktion L~ der Fall ist. Von der Hamiltonfunktion bilden wir nun das totale Differenzial, um durch einen Vergleich mit der Euler-Lagrange-Gleichung Bewegungsgleichungen zu finden, die dann aber mit Hilfe der Hamiltonfunktion (statt der Lagrangefunktion) formuliert werden:


H~qdq+H~π~qdπ~q+H~tdt=dH~(q,π~q,t)=vdπ~q+π~qdvL~tdtL~qdqL~q˙dv.


Ersetzen wir hierin L~q noch mit Hilfe der Euler-Lagrange-Gleichung qL~=ddtq˙L~fxq=ddtπ~qfxq und L~q˙ durch π~q=q˙L~, dann erhalten wir:


0=(H~t+L~t)dt+(H~π~qv)dπ~q+(H~q+π~˙qfxq)dq,


so dass also folgende Gleichungen gelten:


H~t=L~t,
q˙=v=H~π~q,
π~˙q=H~q+fxq.


Die letzten beiden Gleichungen sind die sog. "Hamilton'schen Bewegungsgleichungen" oder werden auch "kanonische Gleichungen" genannt. Aus dem vorangegangenen Kapitel kennen wir zudem noch den Zusammenhang zwischen den beiden Größen I~=π~qq˙L~ und I=πqq˙L als I~=IMt. Die Analogie hierzu, nämlich H~=HMt, ist jedoch ein wenig trügerisch und daher lediglich "symbolisch" aufzufassen, also bitte nicht "zu wörtlich" zu nehmen: Warum dies der Fall ist, wird noch gegen Ende dieses Kapitels gezeigt.

Am Beispiel des Federpendels lässt sich dies alles wieder sehr leicht untersuchen. Hierzu gehen wir z.B. von der folgenden geeichten Lagrangefunktion aus:


L~(q,q˙,t)=12mq˙212mω2q2+Anqn1q˙=L(q,q˙,t)+Anqn1q˙,


zu der der kanonische Impuls π~q=q˙L~=mq˙+Anqn1=πq+Anqn1 gehört (mit n=1,2,3,... und einem konstanten Faktor A). Den verallgemeinerten Impuls π~q können wir nach der Geschwindigkeit q˙ auflösen, q˙=1mπ~qAmnqn1, um sie anschließend in die Hamiltonfunktion H~ einzusetzen. Auf diese Weise ergibt sich


H~=12m(π~qAnqn1)+12mω2q2=12mπq2+12mω2q2=H.


H~ und H sind also gleich, was ja auch so sein muss, da die Eichfunktion M nicht explizit von der Zeit abhängt, d.h weilMt gleich Null ist.

Dass die Hamilton'schen Gleichungen gegenüber den Lagrange'schen Bewegungsgleichungen auch wirklich völlig gleichwertig sind, muss hier aber noch gezeigt werden. Wir haben zwar bereits gesehen, dass aus den Lagrange'schen Bewegungsgleichungen die Hamilton'schen Gleichungen folgen. Wenn Lagrange 'sche und Hamilton'sche Mechanik zueinander völlig äquivalent sein sollen, dann muss sich umgekehrt aber auch aus den Hamilton'schen Gleichungen die Euler-Lagrange-Gleichung ergeben. Ausgehend von der Hamiltonfunktion H~(q,π~q,t)=π~qv(q,π~q,t)L~(q,v(q,π~q,t),t) und der Hamilton'schen Gleichung π~˙q=H~q+fxq sowie der Definition des kanonischen Impulses π~q=q˙L~ rechnen wir folgendes nach:


ddtq˙L~fxq=π~˙qfxq=H~q=
π~qvq+L~q+L~q˙vq=(L~q˙π~q)vq+L~q=L~q,


was ja tatsächlich die Euler-Lagrange-Gleichung ist. Aus der eher "symbolischen" aufzufassenden (und eigentlich nicht korrekten) Gleichung H~=HMt folgt durch Einsetzen von H~=π~qq˙L~, π~q=πq+Mq und H=πqq˙L außerdem noch direkt L~=L+Mqq˙+Mt=L+ddtM(q,t). Beide Theorien sind also gleichwertig.

Bei der Herleitung der letzten Gleichung sind wir jedoch ein wenig nachlässig gewesen: wir haben dort nämlich nicht berücksichtigt, dass in H~ die Geschwindigkeit q˙ u.a. eine Funktion von π~q ist, d.h. q˙=v(q,π~q,t) gilt, während hingegen in H die Geschwindigkeit q˙ nicht eine Funktion von π~q sondern von πq ist, d.h. dort q˙=v(q,πq,t) gilt. Mittels π~q=πq+Mq(q,t) und L~(q,q˙,t)=L(q,q˙,t)+qM(q,t)q˙+tM(q,t) erhält man daher folgenden Zusammenhang zwischen H~ und einer Größe, die aber nur beinahe so aussieht wie H:


H~(q,π~q,t)=π~qv(q,π~q,t)L~(q,v(q,π~q,t),t)=πqv(q,π~q,t)L(q,v(q,π~q,t),t)tM(q,t),


worin πqv(q,π~q,t)L(q,v(q,π~q,t),t) nicht gleich H=πqv(q,πq,t)L(q,v(q,πq,t),t) ist, da im ersteren Ausdruck q˙ bzw. v noch von π~q statt von πq abhängt. Die Gleichung H~=HMt ist aus diesem Grund allenfalls "symbolisch" zu verstehen. Der Zusammenhang I~=IMt zwischen I~(q,q˙,π~q,t)=π~qq˙L~(q,q˙,t) und I(q,q˙,πq,t)=πqq˙L(q,q˙,t) gilt hingegen exakt und führt mit π~q=πq+Mq(q,t) tatsächlich auf L~(q,q˙,t)=L(q,q˙,t)+ddtM(q,t).

In diesem Kapitel sind wir sehr allgemein von der geeichten Lagrangefunktion L~ statt von der natürlichen Lagrangefunktion L ausgegangen und sind dabei zu den Hamilton'schen Gleichungen der (als voneinander unabhängig geltenden) Variablen q˙ und π~q bezüglich der Hamiltonfunktion H~ gelangt. Wenn wir die Eichfunktion ddtM(q,t) gleich Null setzen, erhalten wir automatisch die Hamilton'schen Gleichungen zu den Variablen q˙ und πq hinsichtlich der Hamiltonfunktion H. Wir können uns aber auch die Frage stellen, ob die Hamilton'schen Gleichungen in den Variablen q˙ und πq von H, d.h. q˙=Hπq und π˙q=Hq+fxq, gelten, wenn die Hamilton'schen Gleichungen in den Variablen q˙ und π~q von H~, d.h. q˙=H~π~q und π~˙q=H~q+fxq, gültig sind, also die Hamilton'schen Gleichungen zu H aus jenen zu H~ automatisch folgen. Dass dies tatsächlich der Fall ist, wird nun gezeigt. Betrachten wir zunächst die Gleichung


H~π~q=π~q[π~qv(q,π~q,t)L(q,v(q,π~q,t),t)+qM(q,t)v(q,π~q,t)+tM(q,t)],


die nach Ausführen der partiellen Differenziation nach π~q erwartungsgemäß Folgendes ergibt:


H~π~q=v(q,π~q,t)+[(π~qMq)Lq˙]v(q,π~q,t)π~q=v(q,π~q,t)=q˙,


wobei wir hier wieder π~q=πq+Mq(q,t) und die Definition πq=Lq˙ verwendet haben. Genauso können wir Folgendes nachrechnen:


Hπq=πq[πqv(q,πq,t)L(q,v(q,πq,t),t)]=v(q,πq,t)+(πqLq˙)v(q,πq,t)πq=v(q,πq,t)=q˙.


D.h. beide Hamilton'sche Gleichungen für q˙ können friedlich koexistieren. Bei der Hamilton'schen Gleichungen bzgl. π~q, d.h.


π~˙q+fxq=H~q=q[π~qv(q,π~q,t)L(q,v(q,π~q,t),t)+qM(q,t)v(q,π~q,t)+tM(q,t)]


erhalten wir durch Ausführen der partiellen Differenziation nach q den folgenden Ausdruck:


π~˙q+fxq=(πqLq˙)v(q,π~q,t)qLq2Mq2(q,t)v(q,π~q,t)2qtM(q,t)=LqddtqM(q,t).


Wegen π~˙q=π˙q+ddtMq(q,t) resultiert daraus somit π˙q+fxq=Lq. Rechnen wir jetzt noch Hq aus:


Hq=q[πqv(q,πq,t)L(q,v(q,πq,t),t)]=(πqLq˙)v(q,πq,t)qLq=Lq,


dann kommen wir wirklich zum Schluss, dass aus der Hamilton'schen Gleichung π~˙q=H~q+fxq automatisch auch die Gültigkeit der Gleichung π˙q=Hq+fxq folgen muss.

Auch dies lässt sich wieder sehr leicht am Beispiel des Federpendels nachvollziehen. Hierzu gehen wir von der Hamiltonfunktion H~=12m(π~qAnqn1)2+12mω2q2 aus. Die Hamilton'sche Gleichung für q˙ lautet dann:


q˙=H~π~q=1m(π~qAnqn1)=1mπq=q˙,


während sie für π~q etwas komplizierter wirkt:


π~˙q+fxq=H~q=An(n1)qn21m(π~qAnqn1)+mω2q2=An(n1)qn2q˙+mω2q,


wobei zusätzlich noch


π~˙=ddt(πq+Anqn1)=π˙q+An(n1)qn2q˙


gilt, so dass hieraus tatsächlich wieder die Hamilton'sche Gleichung für πq resultiert:


π˙q+fxq=mω2q.


Kanonische Transformationen

Bei der Hamiltonfunktion betrachten wir die verallgemeinerte Koordinate und den kanonischen Impuls als voneinander unabhängige Koordinaten. Existiere nun neben den Koordinaten q und πq zusätzlich noch ein zweites Paar Q und ΠQ, dann stellt sich die Frage nach dem Zusammenhang zwischen den beiden Hamiltonfunktionen H(q,πq,t) und H¯(Q,ΠQ,t), die beide dasselbe System beschreiben sollen. Gehen die beiden Koordinatenpaare durch eine Transformation q=q(Q,ΠQ),πq=πq(Q,ΠQ)Q=Q(q,πq),ΠQ=ΠQ(q,πq) auseinander hervor (von der wir also vorerst annehmen werden, dass sie nicht explizit von der Zeit abhängt), dann erscheint folgender Zusammenhang zwischen den zwei Hamiltonfunktionen sinnvoll, wenn beide Funktionen dasselbe System, d.h. dieselbe Physik, beschreiben sollen:


H(q(Q,ΠQ),πq(Q,ΠQ),t)=H¯(Q,ΠQ,t)


bzw. natürlich auch umgekehrt


H¯(Q(q,πq),ΠQ(q,πq),t)=H(q,πq,t).


Genauso wie wir in der Lagrange'schen Mechanik solche Koordinatentransformationen gefunden haben, die es ermöglichen, dass die transformierte Lagrangefunktion wieder die Euler-Lagrange-Gleichung (diesmal jedoch in den neuen Koordinaten) erfüllt, also die Transformationen die Form der Euler-Lagrange-Gleichung unverändert gelassen haben, suchen wir jetzt nach den Bedingungen für die oben genannte Transformation, die entsprechendes für die Hamilton'schen Gleichungen ermöglicht. Wir verlange jetzt also, dass die Hamilton'schen Gleichungen für das Koordinatenpaar (q,πq) und die Hamiltonfunktion H, d.h. q˙=Hπq und π˙q=Hq nach der Koordinatentransformation in die kanonischen Gleichungen Q˙=H¯ΠQ und Π˙Q=H¯Q für das Koordinatenpaar (Q,ΠQ) und die transformierte Hamiltonfunktion H¯ übergehen (wir verzichten hier auf das Einbeziehen einer Nicht-Potenzialkraft f). Die totale Zeitableitung von q=q(Q,ΠQ) ergibt daher


qQQ˙+qΠQΠ˙Q=q˙(Q,ΠQ)=Hπq(q,πq,t)=


H¯πq(Q(q,πq),ΠQ(q,πq),t)=H¯QQπq+H¯ΠQΠQπq=Π˙QQπq+Q˙ΠQπq,


was durch Koeffizientenvergleich auf das Gleichungspaar


qQ=ΠQπq,
qΠQ=Qπq


führt. Selbstverständlich können wir auch die totale Zeitableitung von πq=πq(Q,ΠQ) betrachten:


πqQQ˙πqΠQΠ˙Q=π˙q(Q,ΠQ)=Hq(q,πq,t)=
H¯q(Q(q,πq),ΠQ(q,πq),t)=H¯QQq+H¯ΠQΠQq=Π˙QQq+Q˙ΠQq,


woraus erneut durch Koeffizientenvergleich ein Gleichungspaar


πqQ=ΠQq,
πqΠQ=Qq


resultiert. Das letztere Gleichungspaar stellt die Umkehrung des Ersteren dar, ist also mit diesem verträglich. Die beiden Gleichungspaare repräsentieren die gesuchten Bedingungen an die Koordinatentransformation, die die Form der kanonischen Gleichungen nicht verändern soll. Eine solche Transformation nennt sich "kanonische Transformation".

Die Hamilton'schen Gleichungen werden z.B. für die Koordinaten (q,πq) oft gerne mittels der sog. "Poissonklammer",


{A,B}(q,πq):=AqBπqBqAπq


ausgedrückt:


{q,H}(q,πq)=qqHπqHqqπq=Hπq=q˙,
{πq,H}(q,πq)=πqqHπqHqπqπq=Hq=π˙q.


Diese Gleichungen sind interesanterweise auch noch gültig, wenn wir sie mit Hilfe der Poissonklammer bzgl. der Variablen (Q,ΠQ), d.h.


{A,B}(Q,ΠQ):=AQBΠQBQAΠQ,


formulieren:


{q,H}(Q,ΠQ)={q,H¯}(Q,ΠQ)=qQH¯ΠQH¯QqΠQ=qQQ˙+qΠQΠ˙Q=q˙(Q,ΠQ),
{πq,H}(Q,ΠQ)={πq,H¯}(Q,ΠQ)=πqQH¯ΠQH¯QπqΠQ=πqQQ˙+πqΠQΠ˙Q=π˙q(Q,ΠQ),


wobei wir von den kanonischen Gleichungen in den Variablen (Q,ΠQ), d.h. Q˙=H¯ΠQ und Π˙Q=H¯Q, und H=H¯ Gebrauch gemacht haben. Abkürzend können wir also für die Hamilton'schen Gleichungen {q,H}=q˙ und {πq,H}=π˙q schreiben.

Mittels Poissonklammer lassen sich zudem die Bedingungen für eine kanonische Transformation kurz und prägnant darstellen: In der folgenden Poissonklammer können wegen der Gleichungen qΠQ=Qπq und πqΠQ=Qq für eine kanonische Transformation z.B. die Differenziale von Q ersetzt werden:


{Q,ΠQ}(q,πq)=QqΠQπqΠQqQπq=
πqΠQΠQπq+qΠQΠQq=ddΠQΠQ(q(Q,ΠQ),πq(Q,ΠQ))=ddΠQΠQ(q,πq)=1.


Wenn in dieser Poissonklammer zusätzlich noch die Differenziale von ΠQ mit Hilfe der Gleichungen qQ=ΠQπq und πqQ=ΠQq für eine kanonische Transformation substituiert werden, ergibt sich


{Q,ΠQ}(q,πq)=QqΠQπqΠQqQπq=πqΠQqQqΠQπqQ={q,πq}(Q,ΠQ).


Für die verallgemeinerten Koordinaten (Q,ΠQ), die aus den Koordinaten (q,πq) durch eine kanonische Transformation hervorgehen, müssen also folgende Poissonklammer-Ausdrücke gelten:


1={Q,ΠQ}(q,πq)={q,πq}(Q,ΠQ),
0={Q,Q}={q,q},
0={ΠQ,ΠQ}={πq,πq},


wobei die letzten beiden Gleichungen wegen der Eigenschaft {A,A}=0 der Poissonklammer erfüllt sind.

Eine weitere interessante Eigenschaft der kanonischen Transformationen ist ihr Zusammenhang mit totalen Differenzialen. Die Gleichung πqQ=ΠQq legt z.B. folgenden Zusammenhang mit einer sog. "erzeugenden Funktion" G1(q,Q) nahe:


dG1(q,Q)=πqdqΠQdQ,


da dann πq=qG1(q,Q) und ΠQ=QG1(q,Q) mit πqQ=2QqG1(q,Q)=2qQG1(q,Q)=ΠQq gelten müssen. Eine Transformation ist also kanonisch, wenn die Differenz von πqdq und ΠQdQ auf ein totales Differenzial führt. Wegen πqdq=d(πqq)dπqq und ΠQdQ=d(ΠQQ)dΠQQ ist G1(q,Q) nicht die einzig mögliche erzeugende Funktion, sondern es existieren auch noch:


  • G2(πq,ΠQ)=G1(q,Q)πqq+ΠQQ

mit dG2(πq,ΠQ)=qdπq+QdΠQ, was auf qΠQ=Qπq führt,

  • G3(q,ΠQ)=G1(q,Q)+ΠQQ

mit dG3(q,ΠQ)=πqdq+QdΠQ, was auf πqΠQ=Qq führt, und

  • G4(πq,Q)=G1(q,Q)πqq

mit dG4(πq,Q)=qdπqΠQdQ, was auf qQ=ΠQπq führt.


Bisher haben wir bei den kanonischen Transformationen von Zeitabhängigkeiten abgesehen, weil unser Ausgangspunkt q˙(Q,ΠQ) gewesen ist. Wenn eine expliziten Zeitabhängigkeit wie z.B. von der Art q=q(Q,ΠQ,t) vorhanden gewesen wäre, hätten wir beim Bilden des totalen Zeitdifferenzials einen zusätzlichen Term qt erhalten, den wir aber beim Ausführen der Ableitung H¯πq(Q(q,πq,t),ΠQ(q,πq,t),t) mit nichts hätten identifizieren können. Die erzeugenden Funktionen gestatten es aber jetzt, die Betrachtungen auch auf zeitabhängige kanonische Transformationen auszuweiten. Hierzu setzen wir z.B. G1 zusätzlich noch als Funktion der Zeit an, sodass das totale Zeitdifferenzial von G1(q,Q,t) folgendes ergeben muss:


ddtG1(q,Q,t)=πqq˙ΠQQ˙+G1t.


Um G1t mit irgendwas sinnvollem identifizieren zu können, erinnern wir uns daran, dass Hamilton- und Lagrangefunktion miteinander zusammenhängen.

Der Zusammenhang zwischen beiden Funktionen ist mathematisch gesehen übrigens von der gleichen Natur wie jener zwischen den vier erzeugenden Funktionen der kanonischen Transformationen: alle haben etwas mit totalen Differenzialen zu tun. In der einschlägigen Literatur der theoretischen Physik wird jener Zusammenhang über die sog. "Legendre-Transformation" hergestellt.

Im Kapitel über zulässige Transformationen der Lagrangefunktion haben wir eine Forderung aufgestellt, die wir jetzt erneut verwenden werden:


L(q,v(q,πq,t),t)+ddtM(q,t)=L¯(Q,V(Q,ΠQ,t),t)+ddtM¯(Q,t).


Hierin sind L¯ die transformierte Lagrangefunktion L sowie M und M¯ Eichfunktionen. Außerdem haben wir darin bereits die Geschwindigkeiten mittels der kanonischen Impulse ersetzt, d.h. q˙=v(q,πq,t) und Q˙=v(q,πq,t) in Hinblick auf die aus den Langrangefunktionen zu bildenden Hamiltonfunktionen verwendet. Die Hamiltonfunktionen gehen ja aus den beiden Lagrangefunktionen folgendermaßen hervor:


πqq˙=H(q,πq,t)+L(q,v,t)


und


ΠQQ˙=H¯(Q,ΠQ,t)+L¯(Q,V,t).


Setzen wir Letzteres in den Term πqq˙ΠQQ˙ von ddtG1(q,Q,t) ein, dann erhalten wir


πqq˙ΠQQ˙=H(q,πq,t)H¯(Q,ΠQ,t)+L(q,v,t)L¯(Q,V,t).


Hierin verwenden wir außerdem noch den oben geforderten Zusammenhang zwischen L und der transformierten Lagragefunktion L¯:


πqq˙ΠQQ˙+H¯(Q,ΠQ,t)H(q,πq,t)=L(q,v,t)L¯(Q,V,t)=ddt[M¯(Q,t)M(q,t)].


Die Funktion M¯(Q,t)M(q,t) identifizieren wir mit G1(q,Q,t), da beide von den gleichen Variablen q, Q und t abhängen:


ddtG1(q,Q,t)=ddt[M¯(Q,t)M(q,t)].


Hieraus können wir dann also schließen, dass G1t=H¯H gelten muss.

Aus der Tatsache, dass sich die einzelnen Transformationsgleichungen nach bestimmten Koordinaten auflösen lassen, folgern wir beispielsweise q=q(Q,ΠQ,t)Q=Q(q,ΠQ,t), πq=πq(Q,ΠQ,t)Q=Q(πq,ΠQ,t), ΠQ=ΠQ(q,πq,t)q=q(πq,ΠQ,t) oder Q=Q(q,πq,t)q=q(πq,Q,t). Die somit erhaltenen Funktionen für q bzw. Q lassen sich in die Eichfunktionen M bzw. M¯ einsetzen. Es steht uns weiterhin die Option zur Verfügung, eine der beiden Eichfunktionen einfach gleich Null zu setzen. Auf diese Weise erhalten wir an Stelle von M¯(Q,t)M(q,t) eine Funktion G, die statt von q und Q von weiteren Paaren bestehend aus einer alten und einer neuen Variable abhängen kann, woraus wir u.a. schließen dürfen, dass auch für die übrigen erzeugenden Funktionen gilt: H¯H=G1t=G2t=G3t=G4t

Wegen q=q(Q,ΠQ,t) bzw. Q=Q(q,πq,t) ist es sogar möglich, dass sich die Funktion M¯(Q,t)M(q,t) durch eine ersetzen lässt, die von einem Paar ausschließlich aus neuen, d.h. (Q,ΠQ), bzw. alten Koordinaten, d.h. (q,πq), bestehend, abhängt.

In der Literatur wird oft festgestellt, dass wegen der Eichabhängigkeit der Lagrangefunktion


dG=(LL¯)dt=πqdqΠQdQ+(H¯H)dt


(evtl. allgemeiner als hier vorgeführt, da aus unserer bisherigen Annahme folgt, dass z.B. G1(q,Q,t) als Differenz M¯(Q,t)M(q,t) dargestellt werden kann) gilt und die Eichfunktion G eine Funktion der unterschiedlichsten Paarungen aus alten und neuen Variablen bzw. ausschließlich neuen (oder alten) Variablen sein darf. Diese Sichtweise wird durch die hier angestellten Betrachtungen durchaus bestätigt.

Wieder soll uns der harmonische Oszillator als Beispiel dienen: H(q,πq)=πq22m+12mω2q2. Am liebsten wäre uns eine Koordinatentransformation, mit der wir erreichen würden, dass die transformierte Hamiltonfunktion z.B. nicht mehr von der neuen Koordinate Q abhinge (also darin zyklisch wäre), und somit die Form H¯(Q,ΠQ)=h2(ΠQ)2m annähme. Die zugehörige Hamilton'sche Gleichung für den neuen kanonischen Impuls lautete dann nämlich ganz einfach Π˙Q=H¯Q=0, falls die Koordinatentransformation kanonisch ist, woraus ein konstanter kanonischer Impuls const.=ΠQ:=mωA resultierte. Eine solche Gestalt der Hamiltonfunktion erhalten wir mit Hilfe der Koordinatentransformation q=h(ΠQ)mωsinQ,πq=h(ΠQ)cosQ. Die bisher noch unbestimmte Funktion h(ΠQ) müssen wir aus der Bedingung 1={q,πq}(Q,ΠQ)=qQπqΠQπqQqΠQ für eine kanonische Transformation ermitteln, damit wir auch wieder die Hamilton'schen Gleichungen für die transformierte Hamiltonfunktion als Bewegungsgleichungen erhalten. Hierzu setzten wir die folgenden Differenziale von q und πq in die Poissonklammer ein:


  • qQ=1mωh(ΠQ)cosQ,
  • qΠQ=1mωh(ΠQ)sinQ,
  • πqQ=h(ΠQ)sinQ,
  • πqΠQ=h(ΠQ)cosQ,


woraus 1={q,πq}(Q,ΠQ)=1mωh(ΠQ)h(ΠQ)=12mωddΠQh2(ΠQ) und nach Integration h2(ΠQ)=2mωΠQ+const. folgen. Die transformierte Hamiltonfunktion nimmt daher die einfach Gestalt H¯(Q,ΠQ)=ωΠQ an (wobei wir die beliebige Integrationskonstante gleich Null gesetzt haben). Die Hamilton'sche Gleichung für Q, d.h. Q˙=H¯ΠQ=ω, führt somit auf Q=ωt+δ, worin δ eine Integrationskonstante ist. Die gefundene Lösung ist also wieder jene für den harmonischen Oszillator: q=Asin(ωt+δ) mit dem Impuls πq=mωAcos(ωt+δ)=mωq=q˙.

Das totale Differenzial der erzeugenden Funktion G1(q,Q) lässt sich mittels πq=h(ΠQ)cosQ, ΠQ=h2(ΠQ)2mω und h(ΠQ)=mωqsinQ darstellen als


dG1(q,Q)=πqdqΠQdQ=mωqcosQsinQdq12mωq21sin2QdQ.


Setzt man dort im ersten Summanden q=12qq2 sowie im zweiten Summanden 1sin2Q=Q(cosQsinQ) ein, dann lässt sich aus


dG1(q,Q)=12mωq2qcosQsinQdq+12mωq2Q(cosQsinQ)dQ=q(12mωq2cosQsinQ)dq+Q(12mωq2cosQsinQ)dQ


die erzeugende Funktion


G1(q,Q)=12mωq2cosQsinQ+const.


ablesen.