Mathe für Nicht-Freaks: Riemannintegral
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Warum Riemannintegrale?
Integrale als orientierter Flächeninhalt
In der Schule wird der Ausdruck als orientierter Flächeninhalt zwischen dem Graphen von und der -Achse im Intervall definiert. Dabei bedeutet „orientiert“, dass Flächeninhalte oberhalb der -Achse positiv und Flächeninhalte unterhalb negativ gewertet werden:

Diese Definition ist vordergründig ausreichend, zeigt aber bei genauerer Betrachtung Probleme. So ist der Begriff des „Flächeninhalts“ nicht mathematisch präzise definiert. Auch ist nicht klar, ob die Bestimmung des „Flächeninhalts unter dem Graphen“ immer funktioniert.
Eine seltsame Funktion
Wir definieren die Funktion für folgendermaßen:
Dies ist die sogenannte „Dirichlet-Funktion“. Sie ist eingeschränkt auf das Intervall . Sie nimmt bei allen rationalen Zahlen den Wert und bei allen irrationalen Zahlen den Wert an. Das Zeichnen des zugehörigen Funktionsgraphen stellt uns vor große Probleme. Der Funktionswert wechselt ständig zwischen und hin und her (damit ist die Funktion nirgends stetig). Da in jedem noch so kleinen Intervall mit sowohl rationale als auch irrationale Zahlen liegen, besteht der Graph von aus zwei Ansammlungen von Punkten – einmal auf Höhe und einmal auf Höhe –, die wie zwei durchgängige Strecken aussehen:

Wir können nicht genau sagen, ob der Flächeninhalt zwischen der -Achse und dem Graphen von den Wert , oder etwas dazwischen haben sollte. Durch die Einführung des Riemannintegrals stellen wir aber tatsächlich fest, dass diese Funktion nicht riemannintegrierbar ist.
Notwendigkeit einer präzisen Definition
Am Beispiel der Dirichlet-Funktion sieht man, dass nicht bei jeder Funktion der Flächeninhalt unter dem Graphen bestimmt werden kann. Wir brauchen also eine Methode für die Entscheidung, ob der Flächeninhalt unter dem Graphen existiert und, falls ja, wie groß er ist. Eine solche Methode bietet das Riemannintegral. Es erlaubt uns zu entscheiden, welche Funktionen integrierbar sind (sprich: bei welchen ein orientierter Flächeninhalt unter dem Graphen bestimmt werden kann). Ferner können wir mit ihm die Eigenschaften von Integralen beweisen.
Herleitung des Riemannintegrals
Ein Verfahren zur Abschätzung des Integrals
Sei eine stetige Funktion. Zunächst können wir versuchen, den Flächeninhalt von unter dem Graphen abzuschätzen. Da stetig ist, nimmt sie ihr Maximum und Minimum an. Der gesuchte Flächeninhalt ist nicht größer als der Flächeninhalt des Rechtecks mit der Breite und der Höhe . Auch ist er nicht kleiner als die Fläche des Rechtecks mit der Breite und der Höhe :
-
Untere Schranke an das Integral durch ein Rechteck der Breite
-
Obere Schranke an das Integral durch ein Rechteck der Breite
Wir erhalten als Abschätzung:
Diese Abschätzung ist noch nicht besonders gut. Besser wird sie durch eine Aufteilung des Intervalls in zwei Teilintervalle und . In beiden Teilintervallen kann der Flächeninhalt mit Hilfe des jeweiligen Minimums und Maximums abgeschätzt werden. Die Flächen der Rechtecke mit der Höhe des jeweiligen Funktionsmaximums und der halben Intervalllänge als Breite schätzen den Flächeninhalt nach oben ab. Mit Hilfe der analogen Rechtecke mit den Funktionsminima als Höhe kann der Flächeninhalt nach unten abgeschätzt werden:
-
Untere Schranke an das Integral bei Aufteilung in zwei Teilintervalle
-
Obere Schranke an das Integral bei Aufteilung in zwei Teilintervalle
Seien und die Maxima von auf den Intervallen und und seien und die jeweiligen Minima. Der orientierte Flächeninhalt unter kann nun folgendermaßen abgeschätzt werden:
Datei:Mfnf-riemann-uniform-video.webm Die dabei auftretende Summe , die den Flächeninhalt unter dem Graphen von nach oben abschätzt, wird Obersumme genannt. Entsprechend heißt die Summe für die Abschätzung nach unten Untersumme. Noch besser wird die Abschätzung, wenn wir diesen Prozess fortführen und das Intervall in , , , ... Teilintervalle zerlegen. Bei Teilintervallen erhalten wir:
-
Untere Schranke bei gleichmäßiger Aufteilung des Grundintervalls in Teilintervalle
-
Obere Schranke bei gleichmäßiger Aufteilung des Grundintervalls in Teilintervalle
Bei Teilintervallen erhalten wir die Intervalle , wobei eine Zahl zwischen und ist. Sei das Maximum und das Minimum von im -ten Intervall . Der orientierte Flächeninhalt unter dem Graphen von kann nun abgeschätzt werden über:
Obige Abschätzung sollte mit wachsendem immer besser werden, da die Einteilung des Grundintervalls immer besser wird. Wir vermuten, dass mit der Anzahl der Unterteilungen der Fehler zwischen der Abschätzung nach oben bzw. nach unten und dem tatsächlichen Flächeninhalt immer kleiner wird. Im Grenzwert sollte sowohl die Abschätzung nach oben als auch die Abschätzung nach unten gegen den orientierten Flächeninhalt konvergieren. Es sollte also gelten:
Durch Unterteilung des Grundintervalls in konnten wir eine Ober- bzw. eine Untersumme bilden. Diese schätzen den orientierten Flächeninhalt unter dem Graphen von nach oben bzw. nach unten ab. Mit wachsendem wird diese Abschätzung immer besser und mit dem Grenzübergang konvergiert sowohl die Ober- als auch die Untersumme gegen den tatsächlichen orientierten Flächeninhalt von . Damit haben wir ein Verfahren gefunden, um den orientierten Flächeninhalt einer Funktion zu bestimmen.
Zerlegungen
Bisher haben wir das Grundintervall in gleich große Teilintervalle zerlegt. Jedoch kann bei einer beliebigen Unterteilung des Grundintervalls mit beliebig vielen und beliebig großen Teilintervallen eine Abschätzung nach oben und nach unten nach dem obigen Verfahren gebildet werden. Dadurch kann unser Verfahren verallgemeinert werden. Dies kann beispielsweise genutzt werden, um kleinere Teilintervalle in den Bereichen zu wählen, wo sich die Funktion stark ändert. Damit kann die Qualität der Abschätzung verbessert werden. Die folgende Abbildung zeigt eine Unterteilung von in zehn unterschiedlich große Teilintervalle:
![Zerlegung eines Intervalls [a,b] in n=10 Teilintervalle](https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/c/c5/Mfnf-riemann-zerl.svg/langde-285px-Mfnf-riemann-zerl.svg.png)
Um eine solche Unterteilung zu definieren, reicht es, die Zahlen anzugeben. Zusammen mit und bilden sie die Randpunkte der Teilintervalle. Die Zahlen werden deswegen Stützstellen genannt. Für eine einheitliche Notation definiert man und . Das Tupel aller Stützstellen wird Zerlegung des Intervalls genannt.
Bei einer gegebenen Zerlegung ist mit das -te Teilintervall. Seine Länge ist . Fassen wir zusammen:
Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Definition
Im obigen Verfahren haben wir die Teilintervalle der Zerlegung durch Hinzunahme von Stützstellen weiter unterteilt. Eine solche Zerlegung, die wir durch Hinzunahme von weiteren Stützstellen erhalten, wird Verfeinerung der Zerlegung genannt:
Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Definition
Durch zusätzliche Stützstellen wollen wir die Approximation des orientierten Flächeninhalts durch Ober- und Untersumme verbessern. Dabei ist es notwendig, dass die Teilintervalle immer kleiner werden. Um insgesamt die Güte einer Zerlegung zu beurteilen, nennen wir die Länge des größten Teilintervalls die Feinheit der Zerlegung. Diese sollte im Laufe der Abschätzung immer kleiner werden und im Grenzwert gegen Null konvergieren:
Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Definition
Ober- und Untersummen
Sei nun eine beliebige und nicht unbedingt stetige Funktion. Durch finden wir die (kleinste) obere Schranke für die Funktionswerte von im Teilintervall . Analog finden wir über eine Abschätzung nach unten für die Funktionswerte von . Damit alle Suprema und Infima existieren, nehmen wir zusätzlich an, dass beschränkt ist. Diese Suprema können nun benutzt werden, um den Flächeninhalt nach oben und nach unten durch Rechtecke zu bestimmen:
-
Der rote Flächeninhalt ist die Untersumme einer gegebenen Zerlegung mit zehn Teilintervallen
-
Der blaue Flächeninhalt ist die Obersumme einer gegebenen Zerlegung mit zehn Teilintervallen
Das Produkt ist der Flächeninhalt des Rechtecks über dem Teilintervall mit der Höhe . Es ist eine Abschätzung nach oben für den Flächeninhalt unter eingeschränkt auf . Durch Summation dieser Produkte für alle Teilintervalle erhält man insgesamt die Abschätzung des Flächeninhalts nach oben für diese Zerlegung:
Analog können wir den Flächeninhalt auch nach unten abschätzen und erhalten so:
Die jeweiligen Summen werden Ober- und Untersumme genannt:
Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Definition
Oberes und unteres Integral
Mit jeder Obersumme haben wir eine Abschätzung des Flächeninhalts nach oben, die bei feineren Zerlegungen immer besser wird. Im Grenzwert beliebig feiner Zerlegungen sollte die Obersumme gegen den tatsächlichen Flächeninhalt streben. Die „kleinstmögliche“ Obersumme sollte also der gesuchte Flächeninhalt sein. „Kleinstmöglich“ steht in Anführungszeichen, da sich jede Obersumme vom tatsächlichen Flächeninhalt unterscheiden kann. Der Unterschied kann aber beliebig klein werden (wenn die Zerlegung hinreichend fein gewählt wird). Deswegen müssen wir „kleinstmöglich“ durch den „kleinstmöglichen Grenzwert von Obersummen“ bzw. die „größtmögliche untere Schranke für alle Obersummen“ ersetzen. Wir bilden also das Infimum der Menge aller möglichen Obersummen und dieses sollte der orientierten Fläche unter dem Graphen entsprechen. Wir nennen dieses Infimum oberes Integral, da es durch Abschätzungen nach oben gewonnen wird. Als Schreibweise wählen wir . Analog können wir das untere Integral als Supremum aller Untersummen definieren:
Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Definition
Definition des Riemannintegrals
Was passiert bei Funktionen, denen man nicht sinnvoll einen Flächeninhalt unter dem Graphen zuordnen kann? Denken wir an die Dirichlet-Funktion , die bei rationalen Zahlen den Wert und bei irrationalen Zahlen den Wert hat. Jedes Teilintervall besitzt sowohl rationale als auch irrationale Zahlen. Damit ist der maximale Funktionswert von auf stets und der minimale Funktionswert ist gleich . Unabhängig von der Zerlegung erhalten wir:
Damit haben wir
Bei der Dirichlet-Funktion stimmt das obere mit dem unteren Integral nicht überein und so erhalten wir kein eindeutiges Ergebnis für den orientierten Flächeninhalt unter dem Graphen. Was tun? Wir führen eine Klassifikation in "schöne" und "unschöne" Funktionen ein. Bei "schönen" Funktionen stimmt das obere mit dem unteren Integral überein. Beide Verfahren liefern dasselbe Ergebnis und wir können dieses als orientierten Flächeninhalt unter dem Graphen definieren. Solche "schönen" Funktionen nennen wir riemannintegrierbar oder kurz integrierbar.
Bei "unschönen" Funktionen liefern das obere und das untere Integral unterschiedliche Ergebnisse. Es ist nicht eindeutig, was der Flächeninhalt unter dem Graphen sein soll und wir behaupten deshalb, dass dieses (nach unserem Verfahren) nicht existiert. Solche "unschönen" Funktionen heißen deshalb nicht riemannintegrierbar.
Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Definition
Abschätzung zwischen oberem und unterem Integral

Nach unserem Verfahren sollte gelten:
Damit müsste gelten:
Damit unser Verfahren sinnvoll ist, müssen wir obige Ungleichung beweisen. Das untere Integral soll schließlich den Flächeninhalt nach unten und das obere Integral den Flächeninhalt nach oben abschätzen. Um diese Ungleichung herzuleiten, können wir folgendermaßen vorgehen:
- Wir zeigen, dass die Obersumme größer als die Untersumme bei gleicher Zerlegung ist.
- Als nächstes beweisen wir, dass die Obersumme bei einer Verfeinerung der Zerlegung kleiner und die Untersumme bei einer Verfeinerung größer wird.
- Nun betrachten wir beliebige Zerlegungen und . Da wir eine gemeinsame Verfeinerung beider Zerlegungen finden, können wir mit Hilfe der ersten beiden Schritte zeigen, dass jede Obersumme größer als jede Untersumme ist.
- Aus dem dritten Schritt können wir folgern, dass das untere Integral kleiner gleich dem oberen Integral sein muss.
Abschätzung zwischen Ober- und Untersummen bei gleicher Zerlegung
Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Satz
Abschätzung von Unter- bzw. Obersummen bezüglich Verfeinerungen
Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Satz
Abschätzung zwischen beliebigen Ober- und Untersummen
Jede Obersumme ist mindestens so groß wie eine beliebige Untersumme:
Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Satz
Abschätzung zwischen oberem und unterem Integral
Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Satz
Kriterien für Riemannintegrierbarkeit
Epsilon-Kriterium für Riemannintegrierbarkeit
Das Epsilon-Kriterium sagt aus, dass eine Funktion genau dann riemannintegrierbar ist, wenn der Unterschied zwischen Ober- und Untersumme beliebig klein gemacht werden kann:
Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Satz
Folgenkriterium
Vorlage:Todo Alternativ lassen sich riemannintegrierbare Funktionen dadurch charakterisieren, dass es eine Folge von Zerlegungen gibt, für die Ober- und Untersumme den gleichen Grenzwert haben. Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Satz
Berechnung des Riemannintegrals
Um das Integral einer riemannintegrierbaren Funktion zu berechnen, ist es unpraktisch, alle möglichen Zerlegungen zu betrachten. Auch wenn wir obigen Satz anwenden wollen, müssen wir erst eine Folge von Zerlegungen finden, für die Ober- und Untersumme den gleichen Grenzwert haben. Der folgende Satz besagt nun, dass es egal ist, welche Folge von Zerlegungen wir wählen. Das gesuchte Riemannintegral ergibt sich nämlich als Grenzwert von Ober- oder Untersumme einer beliebigen Folge von Zerlegungen, solange die Feinheit der Zerlegungen beliebig klein wird. Dies passt auch mit unseren vorherigen Überlegungen zusammen: Je "besser" eine Zerlegung ist, also je kleiner ihre Feinheit ist, desto genauer approximieren ihre Obersumme und ihre Untersumme das Riemannintegral . Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Satz Vorlage:Todo
Beispiele
Konstante Funktionen
Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Beispiel
Die Identität
Als nächstes Beispiel wollen wir die Identitätsfunktion auf dem Intervall integrieren. Das ist schon schwieriger, weil wir den gesuchten Flächeninhalt durch feiner werdende Zerlegungen immer genauer annähern müssen, ohne den exakten Wert jemals zu erreichen.
Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Aufgabe
Eine quadratische Funktion

Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Aufgabe
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