Mathe für Nicht-Freaks: Riemannintegral

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Warum Riemannintegrale?

Integrale als orientierter Flächeninhalt

In der Schule wird der Ausdruck abf(x)dx als orientierter Flächeninhalt zwischen dem Graphen von f und der x-Achse im Intervall [a,b] definiert. Dabei bedeutet „orientiert“, dass Flächeninhalte oberhalb der x-Achse positiv und Flächeninhalte unterhalb negativ gewertet werden:

Das Integral ist der orientierte Flächeninhalt unter dem Graphen
Das Integral ist der orientierte Flächeninhalt unter dem Graphen

Diese Definition ist vordergründig ausreichend, zeigt aber bei genauerer Betrachtung Probleme. So ist der Begriff des „Flächeninhalts“ nicht mathematisch präzise definiert. Auch ist nicht klar, ob die Bestimmung des „Flächeninhalts unter dem Graphen“ immer funktioniert.

Eine seltsame Funktion

Wir definieren die Funktion f:[0,1] für x[0,1] folgendermaßen:

Vorlage:Einrücken

Dies ist die sogenannte „Dirichlet-Funktion“. Sie ist eingeschränkt auf das Intervall [0,1]. Sie nimmt bei allen rationalen Zahlen den Wert 1 und bei allen irrationalen Zahlen den Wert 0 an. Das Zeichnen des zugehörigen Funktionsgraphen stellt uns vor große Probleme. Der Funktionswert wechselt ständig zwischen 0 und 1 hin und her (damit ist die Funktion nirgends stetig). Da in jedem noch so kleinen Intervall [a,b] mit a<b sowohl rationale als auch irrationale Zahlen liegen, besteht der Graph von f aus zwei Ansammlungen von Punkten – einmal auf Höhe 0 und einmal auf Höhe 1 –, die wie zwei durchgängige Strecken aussehen:

Graph der Dirichlet-Funktion
Graph der Dirichlet-Funktion

Wir können nicht genau sagen, ob der Flächeninhalt zwischen der x-Achse und dem Graphen von f den Wert 0, 1 oder etwas dazwischen haben sollte. Durch die Einführung des Riemannintegrals stellen wir aber tatsächlich fest, dass diese Funktion nicht riemannintegrierbar ist.

Notwendigkeit einer präzisen Definition

Am Beispiel der Dirichlet-Funktion sieht man, dass nicht bei jeder Funktion der Flächeninhalt unter dem Graphen bestimmt werden kann. Wir brauchen also eine Methode für die Entscheidung, ob der Flächeninhalt unter dem Graphen existiert und, falls ja, wie groß er ist. Eine solche Methode bietet das Riemannintegral. Es erlaubt uns zu entscheiden, welche Funktionen integrierbar sind (sprich: bei welchen ein orientierter Flächeninhalt unter dem Graphen bestimmt werden kann). Ferner können wir mit ihm die Eigenschaften von Integralen beweisen.

Herleitung des Riemannintegrals

Ein Verfahren zur Abschätzung des Integrals

Sei f:[a,b] eine stetige Funktion. Zunächst können wir versuchen, den Flächeninhalt von f unter dem Graphen abzuschätzen. Da f stetig ist, nimmt sie ihr Maximum M und Minimum m an. Der gesuchte Flächeninhalt ist nicht größer als der Flächeninhalt des Rechtecks mit der Breite ba und der Höhe M. Auch ist er nicht kleiner als die Fläche des Rechtecks mit der Breite ba und der Höhe m:

Wir erhalten als Abschätzung:

Vorlage:Einrücken

Diese Abschätzung ist noch nicht besonders gut. Besser wird sie durch eine Aufteilung des Intervalls in zwei Teilintervalle [a,a+b2] und [a+b2,b]. In beiden Teilintervallen kann der Flächeninhalt mit Hilfe des jeweiligen Minimums und Maximums abgeschätzt werden. Die Flächen der Rechtecke mit der Höhe des jeweiligen Funktionsmaximums und der halben Intervalllänge als Breite schätzen den Flächeninhalt nach oben ab. Mit Hilfe der analogen Rechtecke mit den Funktionsminima als Höhe kann der Flächeninhalt nach unten abgeschätzt werden:

Seien M1 und M2 die Maxima von f auf den Intervallen [a,a+b2] und [a+b2,b] und seien m1 und m2 die jeweiligen Minima. Der orientierte Flächeninhalt unter f kann nun folgendermaßen abgeschätzt werden:

Vorlage:Einrücken

Datei:Mfnf-riemann-uniform-video.webm Die dabei auftretende Summe ba2M1+ba2M2, die den Flächeninhalt unter dem Graphen von f nach oben abschätzt, wird Obersumme genannt. Entsprechend heißt die Summe für die Abschätzung nach unten Untersumme. Noch besser wird die Abschätzung, wenn wir diesen Prozess fortführen und das Intervall in 4, 8, 16, ... Teilintervalle zerlegen. Bei 32 Teilintervallen erhalten wir:

Bei 2n Teilintervallen erhalten wir die Intervalle Ik,n=[a+(k1)ba2n,a+kba2n], wobei k eine Zahl zwischen 1 und 2n ist. Sei Mk,n das Maximum und mk,n das Minimum von f im k-ten Intervall Ik,n. Der orientierte Flächeninhalt unter dem Graphen von f kann nun abgeschätzt werden über:

Vorlage:Einrücken

Obige Abschätzung sollte mit wachsendem n immer besser werden, da die Einteilung des Grundintervalls [a,b] immer besser wird. Wir vermuten, dass mit der Anzahl der Unterteilungen der Fehler zwischen der Abschätzung nach oben bzw. nach unten und dem tatsächlichen Flächeninhalt immer kleiner wird. Im Grenzwert n sollte sowohl die Abschätzung nach oben als auch die Abschätzung nach unten gegen den orientierten Flächeninhalt konvergieren. Es sollte also gelten:

Vorlage:Einrücken

Durch Unterteilung des Grundintervalls in 2n konnten wir eine Ober- bzw. eine Untersumme bilden. Diese schätzen den orientierten Flächeninhalt unter dem Graphen von f nach oben bzw. nach unten ab. Mit wachsendem n wird diese Abschätzung immer besser und mit dem Grenzübergang n konvergiert sowohl die Ober- als auch die Untersumme gegen den tatsächlichen orientierten Flächeninhalt von f. Damit haben wir ein Verfahren gefunden, um den orientierten Flächeninhalt einer Funktion zu bestimmen.

Zerlegungen

Bisher haben wir das Grundintervall in 2n gleich große Teilintervalle zerlegt. Jedoch kann bei einer beliebigen Unterteilung des Grundintervalls mit beliebig vielen und beliebig großen Teilintervallen eine Abschätzung nach oben und nach unten nach dem obigen Verfahren gebildet werden. Dadurch kann unser Verfahren verallgemeinert werden. Dies kann beispielsweise genutzt werden, um kleinere Teilintervalle in den Bereichen zu wählen, wo sich die Funktion stark ändert. Damit kann die Qualität der Abschätzung verbessert werden. Die folgende Abbildung zeigt eine Unterteilung von [a,b] in zehn unterschiedlich große Teilintervalle:

Zerlegung eines Intervalls [a,b] in n=10 Teilintervalle
Zerlegung eines Intervalls [a,b] in n=10 Teilintervalle

Um eine solche Unterteilung zu definieren, reicht es, die Zahlen x1,,xn1 anzugeben. Zusammen mit a und b bilden sie die Randpunkte der Teilintervalle. Die Zahlen a,x1,,xn1,b werden deswegen Stützstellen genannt. Für eine einheitliche Notation definiert man x0=a und xn=b. Das Tupel aller Stützstellen (x0,x1,,xn) wird Zerlegung des Intervalls [a,b] genannt.

Bei einer gegebenen Zerlegung (x0,x1,,xn) ist [xk1,xk] mit 1kn das k-te Teilintervall. Seine Länge ist xkxk1. Fassen wir zusammen:

Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Definition

Im obigen Verfahren haben wir die Teilintervalle der Zerlegung durch Hinzunahme von Stützstellen weiter unterteilt. Eine solche Zerlegung, die wir durch Hinzunahme von weiteren Stützstellen erhalten, wird Verfeinerung der Zerlegung genannt:

Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Definition

Durch zusätzliche Stützstellen wollen wir die Approximation des orientierten Flächeninhalts durch Ober- und Untersumme verbessern. Dabei ist es notwendig, dass die Teilintervalle immer kleiner werden. Um insgesamt die Güte einer Zerlegung zu beurteilen, nennen wir die Länge des größten Teilintervalls die Feinheit der Zerlegung. Diese sollte im Laufe der Abschätzung immer kleiner werden und im Grenzwert gegen Null konvergieren:

Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Definition

Ober- und Untersummen

Sei nun f:[a,b] eine beliebige und nicht unbedingt stetige Funktion. Durch supx[xk1,xk]f(x) finden wir die (kleinste) obere Schranke für die Funktionswerte von f im Teilintervall [xk1,xk]. Analog finden wir über infx[xk1,xk]f(x) eine Abschätzung nach unten für die Funktionswerte von f. Damit alle Suprema und Infima existieren, nehmen wir zusätzlich an, dass f beschränkt ist. Diese Suprema können nun benutzt werden, um den Flächeninhalt nach oben und nach unten durch Rechtecke zu bestimmen:

Das Produkt (xkxk1)supx[xk1,xk]f(x) ist der Flächeninhalt des Rechtecks über dem Teilintervall [xk1,xk] mit der Höhe supx[xk1,xk]f(x). Es ist eine Abschätzung nach oben für den Flächeninhalt unter f eingeschränkt auf [xk1,xk]. Durch Summation dieser Produkte für alle Teilintervalle erhält man insgesamt die Abschätzung des Flächeninhalts nach oben für diese Zerlegung:

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Analog können wir den Flächeninhalt auch nach unten abschätzen und erhalten so:

Vorlage:Einrücken

Die jeweiligen Summen werden Ober- und Untersumme genannt:

Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Definition

Oberes und unteres Integral

Mit jeder Obersumme O(Δ,f) haben wir eine Abschätzung des Flächeninhalts nach oben, die bei feineren Zerlegungen immer besser wird. Im Grenzwert beliebig feiner Zerlegungen sollte die Obersumme O(Δ,f) gegen den tatsächlichen Flächeninhalt streben. Die „kleinstmögliche“ Obersumme sollte also der gesuchte Flächeninhalt sein. „Kleinstmöglich“ steht in Anführungszeichen, da sich jede Obersumme vom tatsächlichen Flächeninhalt unterscheiden kann. Der Unterschied kann aber beliebig klein werden (wenn die Zerlegung hinreichend fein gewählt wird). Deswegen müssen wir „kleinstmöglich“ durch den „kleinstmöglichen Grenzwert von Obersummen“ bzw. die „größtmögliche untere Schranke für alle Obersummen“ ersetzen. Wir bilden also das Infimum infΔ ZerlegungO(Δ,f) der Menge aller möglichen Obersummen und dieses sollte der orientierten Fläche unter dem Graphen entsprechen. Wir nennen dieses Infimum oberes Integral, da es durch Abschätzungen nach oben gewonnen wird. Als Schreibweise wählen wir abf(x)dx. Analog können wir das untere Integral als Supremum aller Untersummen definieren:

Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Definition

Definition des Riemannintegrals

Was passiert bei Funktionen, denen man nicht sinnvoll einen Flächeninhalt unter dem Graphen zuordnen kann? Denken wir an die Dirichlet-Funktion f:[a,b], die bei rationalen Zahlen den Wert 1 und bei irrationalen Zahlen den Wert 0 hat. Jedes Teilintervall [xk1,xk] besitzt sowohl rationale als auch irrationale Zahlen. Damit ist der maximale Funktionswert von f auf [xk1,xk] stets 1 und der minimale Funktionswert ist gleich 0. Unabhängig von der Zerlegung Δ erhalten wir:

Vorlage:Einrücken

Damit haben wir

Vorlage:Einrücken

Bei der Dirichlet-Funktion stimmt das obere mit dem unteren Integral nicht überein und so erhalten wir kein eindeutiges Ergebnis für den orientierten Flächeninhalt unter dem Graphen. Was tun? Wir führen eine Klassifikation in "schöne" und "unschöne" Funktionen ein. Bei "schönen" Funktionen stimmt das obere mit dem unteren Integral überein. Beide Verfahren liefern dasselbe Ergebnis und wir können dieses als orientierten Flächeninhalt unter dem Graphen definieren. Solche "schönen" Funktionen nennen wir riemannintegrierbar oder kurz integrierbar.

Bei "unschönen" Funktionen liefern das obere und das untere Integral unterschiedliche Ergebnisse. Es ist nicht eindeutig, was der Flächeninhalt unter dem Graphen sein soll und wir behaupten deshalb, dass dieses (nach unserem Verfahren) nicht existiert. Solche "unschönen" Funktionen heißen deshalb nicht riemannintegrierbar.

Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Definition

Abschätzung zwischen oberem und unterem Integral

Die Obersumme ist nie kleiner als die Untersumme – auch wenn sich die Zerlegung bei der Ober und Untersumme unterscheidet.

Nach unserem Verfahren sollte gelten:

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Damit müsste gelten:

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Damit unser Verfahren sinnvoll ist, müssen wir obige Ungleichung beweisen. Das untere Integral soll schließlich den Flächeninhalt nach unten und das obere Integral den Flächeninhalt nach oben abschätzen. Um diese Ungleichung herzuleiten, können wir folgendermaßen vorgehen:

  1. Wir zeigen, dass die Obersumme größer als die Untersumme bei gleicher Zerlegung ist.
  2. Als nächstes beweisen wir, dass die Obersumme bei einer Verfeinerung der Zerlegung kleiner und die Untersumme bei einer Verfeinerung größer wird.
  3. Nun betrachten wir beliebige Zerlegungen Δ1 und Δ2. Da wir eine gemeinsame Verfeinerung beider Zerlegungen finden, können wir mit Hilfe der ersten beiden Schritte zeigen, dass jede Obersumme größer als jede Untersumme ist.
  4. Aus dem dritten Schritt können wir folgern, dass das untere Integral kleiner gleich dem oberen Integral sein muss.

Abschätzung zwischen Ober- und Untersummen bei gleicher Zerlegung

Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Satz

Abschätzung von Unter- bzw. Obersummen bezüglich Verfeinerungen

Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Satz

Abschätzung zwischen beliebigen Ober- und Untersummen

Jede Obersumme ist mindestens so groß wie eine beliebige Untersumme:

Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Satz

Abschätzung zwischen oberem und unterem Integral

Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Satz

Kriterien für Riemannintegrierbarkeit

Epsilon-Kriterium für Riemannintegrierbarkeit

Das Epsilon-Kriterium sagt aus, dass eine Funktion genau dann riemannintegrierbar ist, wenn der Unterschied zwischen Ober- und Untersumme beliebig klein gemacht werden kann:

Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Satz

Folgenkriterium

Vorlage:Todo Alternativ lassen sich riemannintegrierbare Funktionen dadurch charakterisieren, dass es eine Folge von Zerlegungen gibt, für die Ober- und Untersumme den gleichen Grenzwert haben. Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Satz

Berechnung des Riemannintegrals

Um das Integral einer riemannintegrierbaren Funktion zu berechnen, ist es unpraktisch, alle möglichen Zerlegungen zu betrachten. Auch wenn wir obigen Satz anwenden wollen, müssen wir erst eine Folge von Zerlegungen finden, für die Ober- und Untersumme den gleichen Grenzwert haben. Der folgende Satz besagt nun, dass es egal ist, welche Folge von Zerlegungen wir wählen. Das gesuchte Riemannintegral ergibt sich nämlich als Grenzwert von Ober- oder Untersumme einer beliebigen Folge von Zerlegungen, solange die Feinheit der Zerlegungen beliebig klein wird. Dies passt auch mit unseren vorherigen Überlegungen zusammen: Je "besser" eine Zerlegung Δ ist, also je kleiner ihre Feinheit |Δ| ist, desto genauer approximieren ihre Obersumme O(Δ,f) und ihre Untersumme U(Δ,f) das Riemannintegral abf(x)dx. Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Satz Vorlage:Todo

Beispiele

Konstante Funktionen

Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Beispiel

Die Identität

Als nächstes Beispiel wollen wir die Identitätsfunktion xx auf dem Intervall [0,1] integrieren. Das ist schon schwieriger, weil wir den gesuchten Flächeninhalt durch feiner werdende Zerlegungen immer genauer annähern müssen, ohne den exakten Wert jemals zu erreichen.

Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Aufgabe

Eine quadratische Funktion

Obersumme der Funktion xx2 zur Zerlegung Δ5

Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Aufgabe


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