Mathe für Nicht-Freaks: Folgenkriterium der Stetigkeit: Folgenstetigkeit

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Motivation und Herleitung

Erste Beispiele

Betrachte den Grenzwert limnexp(1n). In der Schule würde man diesen Grenzwert folgendermaßen ausrechnen:

Vorlage:Einrücken

Die Signum-Funktion sgn(x)

Diese Rechnung ergibt intuitiv Sinn: Wenn 1n0, dann sollte exp(1n)exp(0) sein. Doch können wir so argumentieren? Ist es erlaubt, den Limes in die Funktion reinzuziehen? Betrachte hierzu die Vorzeichenfunktion sgn(x), welche das Vorzeichen von x zurückgibt:

Vorlage:Einrücken

Wegen 1n>0 gilt:

Vorlage:Einrücken

Also ist limnsgn(1n)sgn(limn1n). Dies zeigt, dass man den Limes nicht ohne Weiteres in eine Funktion hineinziehen kann. Im Funktionsplot sieht man, warum dies bei exp(x), jedoch nicht bei sgn(x) möglich ist. Bei exp(x) konvergiert nämlich die Folge (exp(1n))n gegen exp(0), wenn n geht:

exp(1/n) konvergiert gegen exp(0) für n gegen unendlich
exp(1/n) konvergiert gegen exp(0) für n gegen unendlich

Bei der Vorzeichenfunktion gibt es einen Sprung im Graphen bei x=0, und deswegen konvergiert die Folge (sgn(1n))n nicht gegen sgn(0):

sgn(1/n) konvergiert nicht gegen sgn(0) für n gegen unendlich
sgn(1/n) konvergiert nicht gegen sgn(0) für n gegen unendlich

Wir stellen fest: Es gibt Funktionen, bei denen der Limes hineingezogen werden kann, und Funktionen, bei denen es nicht (immer) geht.

Sprungstellen und Stetigkeit

Wir erkennen, dass wir deswegen den Limes nicht in sgn(1n) hineinziehen können, weil der Graph der Vorzeichenfunktion an der Stelle x=0 „einen Sprung macht“. Wir überlegen uns nun, warum das Hineinziehen des Limes nicht möglich ist, wenn der Graph beim Grenzwert der Argumentenfolge einen Sprung macht. Nehmen wir an, dass f folgenden Graphen besitzt:

Graph der Funktion f mit einem Sprung an der Stelle x0, wobei der rechtsseitige Grenzwert an der Stelle x0 existiert.
Graph der Funktion f mit einem Sprung an der Stelle x0, wobei der rechtsseitige Grenzwert an der Stelle x0 existiert.

Wenn wir uns von links an x0 annähern, dann nähern sich die Funktionswerte auch an f(x0) an. Wenn also die Argumentenfolge fast ausschließlich (sprich: bis auf endlich viele Ausnahmen) nur aus reellen Zahlen kleiner gleich x0 besteht, können wir den Limes hineinziehen. Dies schlägt jedoch fehl, wenn in der Argumentenfolge unendlich viele Zahlen größer als x0 auftreten. Ihre Funktionswerte nähern sich nämlich nicht f(x0) an, weil der Graph bei x0 in die rechte Richtung einen Sprung macht. Durch den Sprung gibt es einen Mindestabstand, den die Funktionswerte in der Nähe und rechts von x0 nicht unterschreiten. Der Sprung der Funktion an der Stelle x0 verhindert, dass bei jeder Argumentenfolge der Limes hineingezogen werden kann.

Ähnliches passiert, wenn der Graph bei x0 in die linke Richtung einen Sprung besitzt:

Graph der Funktion f mit einem Sprung an der Stelle x0, wobei der linksseitige Grenzwert an der Stelle x0 existiert.
Graph der Funktion f mit einem Sprung an der Stelle x0, wobei der linksseitige Grenzwert an der Stelle x0 existiert.

Hier schlägt das Hineinziehen des Limes fehl, wenn die Argumentenfolge unendlich viele Zahlen kleiner als x0 besitzt. Die Funktionswerte links von x0 nähern sich aufgrund des Sprungs nämlich nicht f(x0) an.

Im Übrigen ist die Situation eine andere, wenn f an der Sprungstelle nicht definiert ist:

Graph der Funktion f mit einem Sprung an der Stelle x0, wo die Funktion nicht definiert ist.
Graph der Funktion f mit einem Sprung an der Stelle x0, wo die Funktion nicht definiert ist.

Hier ergibt der Ausdruck f(limnxn) keinen Sinn, weil die Funktion an der Stelle x0 nicht definiert ist. Deswegen müssen wir nicht betrachten, ob dort der Limes hineingezogen werden kann. An allen anderen Stellen ist der Graph von f kontinuierlich und damit stetig. Wir sehen: Ein Sprung macht nur dann eine Funkion unstetig, wenn die Funktion an der Sprungstelle definiert ist.

Übergang zur formalen Definition

Nehmen wir eine Funktion f mit Sprungstelle im Punkt x0. Wenn man sich dem Argument x0 von der einen Seite nähert, wird ein gewisser Abstand zwischen f(x) und f(x0) nie unterschritten. Dieser Mindestabstand zwischen f(x) und f(x0) wurde durch den Sprung an der Stelle x0 verursacht. Wenn man sich von der anderen Seite an x0 nähert, gehen die f(x)-Werte beliebig nah an f(x0) heran (vorausgesetzt, dass hier keine zweite Sprungstelle vorliegt).

Für x-Werte, die beliebig (=„unendlich“) nahe an x0 herankommen sollen, können wir den Folgenbegriff verwenden. Dafür beschreiben wir die x-Werte als Folge (xn)n, die gegen x0 konvergiert. Die Verwendung des Folgenbegriffs ist auch deswegen sinnvoll, weil wir für die Annäherung oft unendlich viele x-Werte benötigen und Folgen ebenfalls unendlich viele Glieder besitzen.

Gehen wir nun davon aus, dass wir uns von der Seite x0 nähern, bei der unsere f(xn) gegenüber f(x0) einen gewissen Mindestabstand in der Nähe von x0 nicht unterschreiten. Dieser bleibt auch im Limes limn erhalten. Falls limnf(xn) existiert, so wissen wir damit sicher, dass limnf(xn)f(x0) ist.

Nun haben wir nur die Annäherung von der Seite betrachtet, wo f(xn) nicht gegen f(x0) strebt. In unseren Beispielen können wir jedoch die Folge (xn)n so wählen, dass limnf(xn)=f(x0) ist. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn unsere xn von der anderen Seite an x0 streben. Damit limnf(xn)f(x0) erfüllt ist, können wir unsere gegen x0 konvergierende Folge also nicht beliebig wählen. Jedoch existiert zumindest eine Folge (xn)n, für die f(xn) nicht gegen f(x0) strebt.

Herleitung des Folgenkriteriums

Fassen wir das bisher Gefundene zusammen:

Vorlage:-

Sprich: Im Fall eines Sprungs an der Stelle xD gilt limnf(xn)f(x)=f(limnxn) für mindestens eine Folge (xn)n von Argumenten mit Grenzwert x. Nun ist nach unserer Intuition eine Funktion genau dann unstetig an einer Stelle, wenn ihr Graph dort einen Sprung macht. Wir können also definieren:

Vorlage:-

Um die Definition der Stetigkeit an einer Stelle zu finden, müssen wir die Negation der obigen Aussage nehmen. Nach dieser Überlegung können wir uns die Stetigkeit an einer Stelle als Abwesenheit eines Sprungs an der betrachteten Stelle vorstellen, und wir erhalten:

Vorlage:-

Bei Stetigkeit einer Funktion an einer Stelle kann der Limes hineingezogen werden, wenn die Argumentenfolge gegen diese Stelle konvergiert. Diese Definition der Stetigkeit ist das Folgenkriterium der Stetigkeit. Nun ist eine Funktion genau dann stetig, wenn sie an jeder Stelle ihres Definitonsbereichs stetig ist. Damit erhalten wir für die Stetigkeit einer Funktion:

Vorlage:-

Wir können zusammenfassen: Bei einer stetigen Funktion kann man den Limes in die Funktion hineinziehen – unabhängig vom Grenzwert der Argumentenfolge. Weil beispielsweise die Exponentialfunktion stetig ist, kann man immer den Limes in diese Funktion hineinziehen. Die Vorzeichenfunktion ist bei x=0 unstetig, und damit kann der Limes nicht in die Funktion gezogen werden, wenn die Argumentenfolge gegen null konvergiert.

Definition

Datei:Stetigkeit. Folgen-Definition - Quatematik.webm Im obigen Abschnitt haben wir bereits die Definition der Stetigkeit kennengelernt. Hier haben wir festgelegt:

<section begin="Folgenkriterium der Stetigkeit an einer Stelle" />Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Definition<section end="Folgenkriterium der Stetigkeit an einer Stelle" />

Darauf aufbauend haben wir definiert, dass eine Funktion stetig ist, wenn sie an jeder Stelle stetig ist:

<section begin="Folgenkriterium der Stetigkeit" />Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Definition<section end="Folgenkriterium der Stetigkeit" />

Stetigkeit garantiert uns also, dass wir den Limes in die Funktion hineinziehen können. Dies kann die Grenzwertberechnung ungemein vereinfachen, und somit ist Stetigkeit ein Konzept, auf das man bei Grenzwertberechnungen stößt.

Auswirkungen der Definition

Wir haben über unsere Vorstellung von Sprungstellen eine formale Definition von Stetigkeit gefunden. Diese hat sich im Laufe der Zeit als sinnvoll herausgestellt und wird in der mathematischen Community als Definition der Stetigkeit akzeptiert. Deswegen werden auch wir sie im Folgenden heranziehen. Somit ist die Grundlage für Entscheidungen, ob eine Funktion stetig ist, nicht mehr unsere Intuition – sondern das von uns gefundene Folgenkriterium. Dies hat gewisse Nebeneffekte. Betrachte die topologische Sinusfunktion:

Vorlage:Einrücken

Ihr Graph ist:

Graph der topologischen Sinusfunktion
Graph der topologischen Sinusfunktion

Bei dieser Funktion ist man sich intuitiv nicht sicher, ob sie an der Stelle x=0 stetig ist, denn in der Nähe davon schwingt die Funktion immer stärker. Schaut man sich den Graphen an, so sieht es (für mich) nicht nach einer gewöhnlichen Sprungstelle aus. Wenn wir aber unser Folgenkriterium der Stetigkeit heranziehen, können wir zeigen, dass die topologische Sinusfunktion an der Nullstelle trotzdem unstetig ist (Übungsaufgabe).

Als Nebenprodukt unserer Definition haben wir also neben der Sprungstelle eine andere Art der Unstetigkeit erhalten. Im Englischen wird sie essential discontinuity genannt. Diese werden bzw. müssen wir akzeptieren, sofern wir das Folgenkriterium als die Definition der Stetigkeit benutzen wollen. Es sei erwähnt, dass dies eine der Standarddefinitionen ist und wir mit einer Ablehnung wohl ziemlich einsam und verloren in der Welt der Mathematik wären.

Beispiel für das Folgenkriterium

Quadratfunktion ist stetig

<section begin="Stetigkeit der Quadratfunktion" /> Datei:Folgenkriterium – Stetigkeit der Quadratfunktion beweisen.webm

Graph der Quadratfunktion

Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Aufgabe<section end="Stetigkeit der Quadratfunktion" />

Anwendung des Folgenkriteriums

Datei:Kleines Anwendungsbeispiel für das Folgenkriterium.webm Nachdem wir bewiesen haben, dass die Quadratfunktion stetig ist, können wir immer den Limes in diese Funktion hineinziehen, ohne großartig darüber nachdenken zu müssen. Dies ist das Schöne an der Stetigkeit, wie es folgende Beispielaufgabe zeigt:

Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Aufgabe

Allgemeine Beweisskizzen

Stetigkeitsbeweise mit dem Folgenkriterium

<section begin="Beweisskizze:Stetigkeit" />Datei:Stetigkeit mit Folgenkriterium zeigen (Beweisschema).webm Um die Stetigkeit einer Funktion an einer Stelle x0 zu beweisen, müssen wir zeigen, dass für jede Folge (xn)n von Argumenten mit limnxn=x0 gilt, dass limnf(xn)=f(x0) ist. Dementsprechend könnte ein Beweis lauten:

Vorlage:-

Um die Stetigkeit der Funktion f zu beweisen, muss das Beweisschema etwas angepasst werden:

Vorlage:-<section end="Beweisskizze:Stetigkeit" />

Unstetigkeitsbeweise mit dem Folgenkriterium

<section begin="Beweisskizze:Unstetigkeit" />Datei:Beweisschema- Unstetigkeit mit Folgenkriterium zeigen.webm Um mit dem Folgenkriterium zu zeigen, dass eine Funktion f:D an der Stelle x0D unstetig ist, muss man eine Argumentenfolge (xn)n mit xnD für alle n und dem Grenzwert x0 finden, so dass die Funktionswertfolge (f(xn))n nicht gegen f(x0) konvergiert. Es soll also limnxn=x0 und limnf(xn)f(x0) gelten. Für limnf(xn)f(x0) gibt es zwei Möglichkeiten:

  • Die Funktionswertfolge (f(xn))n divergiert.
  • Die Funktionswertfolge (f(xn))n konvergiert, jedoch ist ihr Grenzwert ungleich f(x0).

Ein Unstetigkeitsbeweis über das Folgenkriterium könnte zum Beispiel folgende Form aufweisen:

Vorlage:-<section end="Beweisskizze:Unstetigkeit" />

Zusammenhang zum Epsilon-Delta-Kriterium

{{#lst:Mathe für Nicht-Freaks: Epsilon-Delta-Kriterium der Stetigkeit|Äquivalenz zum Folgenkriterium}}

Übungsaufgaben

Stetigkeit der Betragsfunktion

<section begin="Aufgabe:Stetigkeit der Betragsfunktion" />Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Aufgabe<section end="Aufgabe:Stetigkeit der Betragsfunktion" />

Unstetigkeit der topologischen Sinusfunktion

<section begin="Aufgabe:Unstetigkeit der topologischen Sinusfunktion" />Datei:Beweis der Unstetigkeit der topologischen Sinusfunktion mit Hilfe des Folgenkriteriums.webm Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Aufgabe<section end="Aufgabe:Unstetigkeit der topologischen Sinusfunktion" />

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