Maßtheorie für Einsteiger/ Herleitung des Maß-Begriffes

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Die Maßtheorie beschäftigt sich mit der Frage, wie sich beliebige Arten von Mengen, genauer gesagt deren Inhalt, Umfang oder Volumen messen lassen. Die Messung sollte zum Einen mit den gängigen aus der Physik bekannten Messmethoden für Länge, Fläche oder Volumen konsistent sein und gleichzeitig auf einer sauberen mathematischen Definition aufbauen. Wie wir sehen werden ist ein Maß eine Abbildung, die diese Anforderungen erfüllt. Zum Verständnis und zur Herleitung ist es allerdings wichtig, sich zunächst mit Abbildungen zu befassen, die auch als äußeres Maß bezeichnet werden.

Äußeres Maß (Definition)

Eine Abbildung η:2Ω[0,] wird für Ω als äußeres Maß bezeichnet, wenn sie folgende Eigenschaften erfüllt:

  • η()=0
  • Ist AB, so folgt η(A)η(B), diese Eigenschaft wird auch als Monotonie bezeichnet.
  • η(i=1Ai)i=1η(Ai), diese Eigenschaft wird auch als σ-Subadditivität bezeichnet.

Messbarkeit bezüglich eines äußeren Maßes (Definition)

Eine Menge AΩ wird als messbar bezüglich eines äußeren Maßes η bezeichnet, falls für alle Mengen B2Ω die Beziehung

η(B)=η(BA)+η(BA)

erfüllt ist. Da die Mengen BA und BA offensichtlich disjunkt sind erscheint es trivial, dass sich die Summe ihrer äußeren Maße zum äußeren Maß der Vereinigung der beiden Mengen addiert (es ist B=(BA)(BA)). Anhand der Definition des äußeren Maßes erschließt sich diese Eigenschaft aber nicht, da dort ein äußeres Maß nur die Eigenschaft der σ-Subadditivität besitzen muss. Die oben angegebene Gleichung erfüllt natürlich die Eigenschaft der σ-Subadditivität, allerdings kann es eben auch vorkommen, dass Mengen A' existieren, so dass für eine Menge B2Ω

η(B)<η(BA)+η(BA)

gilt. Diese Beziehung wäre zwar nach wie vor mit der σ-Subadditivität des äußeren Maßes η verträglich, A' wäre in diesem Fall aber nicht messbar bezüglich des äußeren Maßes η.

Maß (Definition)

Sei μ:𝒜[0,] eine Abbildung und 𝒜 eine σ-Algebra in Ω. Dann wird μ als Maß bezeichnet, wenn die Abbildung folgende Eigenschaften erfüllt:

  • μ()=0
  • Ist An,neine Folge paarweise disjunkter Mengen, so gilt μ(i=1Ai)=i=1μ(Ai). Diese Eigenschaft wird auch als σ-Additivität bezeichnet.

In manchen Definitionen eines Maßes wird als Zielmenge auch angegeben. In diesem Fall ergibt sich als dritte Forderung, dass μ(A)0 für alle Mengen A𝒜 gilt.

Die wesentlichen Unterschiede zwischen einem Maß und einem äußeren Maß sind zum Einen der Definitionsbereich. Das äußere Maß besitzt immer die Potenzmenge 2Ω als Definitionsbereich, während ein Maß eine beliebige σ-Algebra auf Ω als Definitionsbereich haben kann, wozu natürlich auch die Potenzmenge von Ω zählen kann. Der zweite wesentliche Unterschied ist die σ-Additivität von Maßen. Aus dieser folgt sofort, dass Maße auch die Eigenschaft der σ-Subadditivität besitzen. Ebenfalls folgt aus der σ-Additivität und den Eigenschaften einer σ-Algebra sofort die Eigenschaft der Monotonie.

Maße besitzen also nicht nur die Eigenschaft der σ-Additivität, sondern sind außerdem auch monoton und σ-subadditiv. Hieraus folgt, dass ein Maß, welches auf der Potenzmenge 2Ω definiert ist ein äußeres Maß ist.

Anders herum lässt sich ein Maß aus einem gegebenen äußeren Maß η herleiten, indem der Definitionsbereich des äußeren Maßes von der Potenzmenge 2Ω auf das Mengensystem 𝒜η der bezüglich des äußeren Maßes η messbaren Mengen reduziert wird. Da man zeigen kann, dass das Mengensystem 𝒜η eine σ-Algebra ist, wenn η ein äußeres Maß ist folgt sofort, dass die Abbildung η|𝒜η:𝒜η[0,], die auf 𝒜η mit η übereinstimmen möge, ein Maß ist: Da die σ-Algebra 𝒜η nur Mengen enthält, die messbar bezüglich des äußeren Maßes η sind, ist die an ein Maß gestellte Forderung der Additivität für jedes Paar von in 𝒜η enthaltener Mengen A und B erfüllt, denn

η(B)=η(B=(BA)(BA))=η(BA)+η(BA)

war ja gerade die Definition dafür, dass die Menge A messbar bezüglich η ist. Man kann nun zeigen, dass diese Bedingung auch für die Vereinigung unendlich vieler Mengen gilt, dass somit auch die Forderung der σ-Additivität erfüllt ist und η|𝒜η somit also tatsächlich ein Maß ist.

Weitere Eigenschaften eines Maßes

Ein Maß weist die Eigenschaften der sogenannten Stetigkeit von oben und der Stetigkeit von unten auf, die wie folgt definiert sind[1]:

Stetigkeit von oben

Sei μ ein Maß auf der σ-Algebra 𝒜. Sei An,n eine Folge von Mengen mit AiAj für ij,i,j und μ(A1)<. An ist also eine Folge von Mengen, bei der jedes Folgenglied (also eine der Mengen An im vorherigen Folgenglied (genauer gesagt in der Menge, die das vorherige Folgenglied ist) enthalten ist und das Maß der ersten in der Folge enthaltenen Menge A1 ist endlich, womit auch alle weiteren in der Folge enthaltenen Mengen endlich sind. Wenn der Durchschnitt aller Folgenglieder zu 𝒜 gehört, also i=1Ai𝒜, dann gilt

μ(iNAi)=limiμ(Ai).

Das Maß des Durchschnitts einer Folge von immer kleiner werdenden ineinander "verschachtelten" Mengen entspricht also dem Maß der Menge, die sich als Grenzwert der Folge für i ergibt.

Stetigkeit von unten

Sei μ ein Maß auf der σ-Algebra 𝒜. Sei An,n eine Folge von Mengen mit AiAj für ij,i,j. An ist also eine Folge von Mengen, bei der jedes Folgenglied (also eine der Mengen An das vorherige Folgenglied (genauer gesagt die Menge, die das vorherige Folgenglied ist) enthält. Wenn die Vereinigung aller Folgenglieder zu 𝒜 gehört, also i=1Ai𝒜, dann gilt

μ(iNAi)=limiμ(Ai).

Das Maß der Vereinigung einer Folge von immer größer werdenden "übereinander liegenden" Mengen entspricht also dem Maß der Menge, die sich als Grenzwert der Folge für i ergibt.

Interpretation

Ein Maß, das in der oben dargestellten Weise definiert ist, ist anschaulich gesprochen eine Abbildung (oder auch Funktion), die einer beliebigen in einer σ-Algebra enthaltenen Menge eine nicht-negative reelle Zahl oder unendlich zuordnet. Der Funktionswert der "Maß-Funktion" kann als "Größen-Messung" der Menge interpretiert werden. Ein Maß erfüllt alle Anforderungen, die man anhand der in der realen Welt gemachten Beobachtungen an eine derartige Messung stellt: Das Maß einer Menge ist stets positiv (eine Ausnahme stellt das sogenannte signierte Maß dar, auf das allerdings an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden soll) und das Maß zweier nicht überlappender (also disjunkter) Mengen entspricht der Summe der Maße der beiden einzelnen Mengen (Eigenschaft der Additivität).

Wir haben uns dem Maßbegriff hier auf eine etwas abstrakte Weise über den Begriff des äußeren Maßes genähert. Das äußere Maß erfüllt nicht die Anforderungen, die man intuitiv an eine Mengen-Messung stellt, weil die Eigenschaft der Addivität nicht zwingend gefordert wird. Wenn man den Definitionsbereich des äußeren Maßes auf alle Mengen beschränkt, für die das äußere Maß additiv ist (das sind genau die Mengen, die messbar bezüglich des äußeren Maßes sind) lässt sich wie bereits erwähnt zeigen, dass es sich beim "neuen" Definitionsbereich um eine σ-Algebra handelt und das äußere Maß auf diesem Definitionsbereich zu einem Maß wird.

Eine zweite mögliche Herangehensweise zur Einführung des Maß-Begriffes ist mittels des Inhalts-Begriffes möglich und soll an dieser Stelle kurz umrissen werden: Ein Inhalt ist ähnlich wie ein Maß definiert, erfüllt allerdings statt der Forderung der σ-Additivität nur die Forderung der endlichen Additivität (die Summe bzw. Vereinigungs-Menge in der Gleichung ist jeweils endlich). Der zweite Unterschied zu einem Maß ist, dass ein Inhalt anstatt auf einer σ-Algebra auf einem Halbring definiert ist. Ein Inhalt, der die Eigenschaft der σ-Additivität aufweist wird als Prämaß bezeichnet. Ein Maß unterscheidet sich demnach von einem Prämaß durch den Definitionsbereich. Dieser ist bei einem Prämaß ein Halbring und bei einem Maß eine σ-Algebra.

Weitere Definitionen

  • Als Messraum wird die Kombination aus Ω und einer σ-Algebra, die Ω enthält bezeichnet.
  • Ist (Ω,𝒜) ein Messraum, dann werden alle Mengen A𝒜 als messbare Mengen bezeichnet (man spricht in diesem Fall auch von 𝒜-messbaren Mengen).
  • Ist μ:𝒜[0,] ein Maß und 𝒜 eine σ-Algebra in Ω, dann wird das Tripel (Ω,𝒜,μ) als Maßraum bezeichnet
  • Ein auf einem Maßraum (Ω,𝒜,μ) definiertes Maß μ wird als endliches Maß bezeichnet, wenn μ(Ω)< gilt.
  • Als Nullmenge bezeichnet man eine Menge vom Maß 0. Ist also μ ein Maß und A eine Menge mit μ(A)=0, so wird A als Nullmenge (bzw. in diesem Fall auch als μ-Nullmenge) bezeichnet.
  • Eine Aussage gilt innerhalb eines Maßraums fast überall, falls die Aussage auf allen Mengen eines Maßraumes mit einem Maß größer 0 gilt, wenn die Aussage also auf allen Mengen des Maßraums mit Ausnahme etwaiger Nullmengen gilt.
  • Ein Maßraum (Ω,𝒜,μ) wird als vollständiger Maßraum bezeichnet, wenn jede Teilmenge aller in 𝒜 enthaltenen μ-Nullmengen ebenfalls in 𝒜 enthalten ist. In diesem Fall wird das Maß μ als vollständiges Maß bezeichnet und die Teilmengen der μ-Nullmengen sind aufgrund der Monotonie des Maßes μ ebenfalls μ-Nullmengen.

Quellenangaben