Beweisarchiv: Analysis: Differentialrechnung: Differentiation der Sinusfunktion

Aus testwiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Beweisarchiv: Analysis: TOPNAV

Differentiation der Sinusfunktion

Da die Sinusfunktion üblicherweise geometrisch definiert ist, ist eine exakte Berechnung ausschließlich mit Methoden der Analysis nicht möglich. Je nachdem, welche geometrischen Eigenschaften vorausgesetzt werden, gibt es unterschiedliche Zugänge zur Differentiation der Sinusfunktion.

Berechnung der Ableitung mit Bogenlänge

Setzt man den Begriff der Bogenlänge als bekannt voraus, so lässt sich die Ableitung der Sinusfunktion mit Hilfe der Definition des Sinus am Einheitskreis berechnen, wobei der Winkel zweckmäßigerweise im Bogenmaß angegeben wird.

Ableitung Sinus

Aus der Skizze kann man folgende Zusammenhänge erkennen. x ist das Bogenmaß zum Sinuswert. Im Einheitskreis ist

y =sinx

Ändert sich der Bogen x um das Maß dx, so ergibt sich auch das Maß dy. Denkt man sich dx gegen Null gehend, so ergeben sich zwei ähnliche Dreiecke ABC und EDC. Setzt man diese ins Verhältnis, so erhält man

dydx=AB1

Da

AB=cosx

ist und

y=dydx

die Ableitung ist, ergibt sich als Lösung

y=cosx.

Berechnung der Ableitung mit Flächen

Obige Berechnung der Ableitung beruht auf dem nicht elementaren Begriff der Bogenlänge; es ist nicht so einfach zu zeigen, dass die Länge des Kreisbogens EC einfach durch die Länge der Sehne EC angenähert werden darf. Eine andere Berechnung der Ableitung der Sinusfunktion, die auf Flächenüberlegungen beruht, vermeidet dieses Problem. Für diesen Zugang interpretiert man den Winkel als doppelten Flächeninhalt des zugehörigen Sektors am Einheitskreis, analog zu den Umkehrfunktionen der Hyperbelfunktionen. Numerisch ist das zwar derselbe Wert wie das Bogenmaß, diese Interpretation vermeidet aber die Problematik der Bogenlänge.


Zunächst folgt aus sinxsiny=2cosx+y2sinxy2, dass

sin(x+h)sin(x)h=cos(x+h/2)sin(h/2)h/2,

also wegen der Stetigkeit der Kosinusfunktion

limh0sin(x+h)sin(x)h=cos(x)limh0sin(h/2)h/2,

es reicht also, den Grenzwert

limh0sin(h)h

zu berechnen.

sin x < x < tan x

Betrachtet man in nebenstehender Abbildung die Punkte O(0,0),A(1,0),B(1,tanx),C(cosx,0) und D(cosx,sinx) und ist x in Bogenmaß gegeben, so hat das Dreieck OCD (rote Fläche) den Flächeninhalt sinxcosx2, der Kreissektor OAD (rote plus orange Fläche) den Flächeninhalt x2, und das Dreieck OAB (rote plus orange plus gelbe Fläche) den Flächeninhalt tanx2. Da eine Fläche jeweils die vorige umfasst, gilt erstens

x2sinxcosx2=sin2x4, also 1sin2x2x,

und zweitens

x2tanx2=sinx2cosx, also cosxsinxx,

insgesamt also

coshsinhh1

und daher

limh0sinhh=1.

Für die Ableitung der Sinusfunktion ergibt das

dsinxdx=limh0sin(x+h)sin(x)h=cosx.

Analytische Berechnung der Ableitung mit der Bogenlänge

Mit der Bogenlänge lassen sich Sinus und Kosinus analytisch definieren: (siehe Herleitung)

sins:=2t(s)1+t2(s)

sowie

coss:=1t2(s)1+t2(s).

Aus der Quotientenregel und der Kettenregel folgen dann

dsinsds=2(1+t2(s))4t2(s)(1+t2(s))21+t2(s)2=
=1t2(s)1+t2(s)=coss

sowie

dcossds=2t(s)(1+t2(s))2t(s)(1t2(s))(1+t2(s))21+t2(s)2=
=2t(s)1+t2(s)=sins.

Berechnung der Ableitung aus den Additionstheoremen

Leopold Vietoris hat im September 1956 auf dem vierten österreichischen Mathematikerkongress in Wien eine Berechnung der Ableitung der Sinusfunktion vorgestellt, die im Wesentlichen nur die Additionstheoreme und Monotonie und Stetigkeit der Sinus- und Kosinusfunktion benötigt. Sei α ein Winkel mit 0<α<90. Dann folgt aus mehrmaliger Anwendung der Additionstheoreme

sinα=2sinα2cosα2=2nsinα2nj=1ncosα2j.

Setzt man

pn(α):=j=1ncosα2j,
qn(α):=2nsinα2n und
rn(α):=pn(α)cosα2n,

so lässt sich leicht zeigen, dass

rn(α)<rn+1(α)<pn+1(α)<pn(α)

gilt. Daher konvergiert die Folge pn(α), und für den Grenzwert p(α):=limnpn(α) gilt

0<cos2α2=r1(α)<p(α)<1.

Die Folge qn(α) konvergiert somit ebenfalls und der Grenzwert q(α):=limnqn(α) erfüllt q(α)>0 und sinα=p(α)q(α). Aus der Stetigkeit der Kosinusfunktion bei α=0 folgt, dass q(α) der Cauchyschen Funktionalgleichung genügt:

q(α+β)=limn(2nsinα+β2n)=
=limn(2nsinα2ncosβ2n+2nsinβ2ncosα2n)=q(α)+q(β)

Da qn(α) monoton steigend ist, ist q(α) ebenfalls monoton steigend und hat daher als monotone Lösung der Cauchyschen Funktionalgleichung notwendigerweise die Form

q(α)=cα,

wobei c eine Konstante >0 ist. Es gilt also sinαα=cp(α). Aus cos2α2<p(α)<1 folgt limα0+p(α)=1 und daher

limα0+sinαα=limα0sinαα=c

weil die Sinusfunktion ungerade ist. Daraus folgt

ddαsinα=ccosα.

Welche Bedeutung hat nun die durch den Grenzwert

cα=limn(2nsinα2n)

definierte Konstante c? Wie sich geometrisch zeigen lässt, ist

Un:=2n+1sin1802n

der Umfang des dem Einheitskreis eingeschriebenen regelmäßigen 2n-Ecks und

An:=2n1sin1802n1

der Flächeninhalt. Analytisch wurde bereits gezeigt, dass diese Folgen konvergieren; geometrisch anschaulich sind die Grenzwerte Umfang bzw. Fläche des Einheitskreises. Mit der geometrischen Definition der Kreiszahl π gilt also

limnUn=2π sowie
limnAn=π.

Es gilt also

c=π180.

Dieser Grenzwert lässt sich als analytische Definition von π verwenden, wobei zu beachten ist, dass die dabei verwendete Folge die genaue Kenntnis der Sinusfunktion nicht voraussetzt, da sie wegen

sinα2=12(11sin2α)

mit einer einfachen Rekursionsformel darstellbar ist.

Definiert man das Winkelmaß so, dass dem gestreckten Winkel α=180 der Wert x=π entspricht, misst man also im Bogenmaß, so gilt für den Sinus

ddxsinx=cosx.

Literatur

  • Leopold Vietoris, Vom Grenzwert limx0sinxx. Elemente Math. 12 (1957).

Wikipedia-Verweis