Mathe für Nicht-Freaks: Lipschitz-Stetigkeit

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Die Lipschitz-Stetigkeit ist eine Verschärfung der Stetigkeit. Sie ist noch strenger als die gleichmäßige Stetigkeit und wird in der Theorie der Differentialgleichungen häufig verwendet.

Herleitung

Wir werden mit der Definition der Lipschitz-Stetigkeit noch einen weiteren Stetigkeitsbegriff kennenlernen, der uns Genaueres über das Änderungsverhalten einer Funktion verrät. Bekanntlich führen bei stetigen Funktionen hinreichend kleine Änderungen des Arguments zu beliebig kleinen Änderungen des Funktionswerts. Bei Lipschitz-stetigen Funktionen ist es darüber hinaus möglich, den Betrag der Änderung der Funktion abzuschätzen. Es kann also eine Aussage darüber getroffen werden, wie „schnell“ die Abweichungen der Funktionswerte klein werden. Um das besser zu verstehen, betrachten wir zunächst, was mit der Änderung einer Funktion gemeint ist. Sei hierzu f:D eine beliebige Funktion mit dem Definitionsbereich D.

Nehmen wir zwei beliebige Punkte x~ und x aus dem Definitionsbereich einer Funktion f und legen wir eine Gerade durch die beiden zugehörigen Funktionswerte f(x~) und f(x). Anschaulich ist klar, dass die Gerade umso steiler verlaufen muss, je größer die Differenz von f(x~) und f(x) ist. Die durchschnittliche Änderung zwischen zwei Funktionswerten entspricht der Steigung f(x)f(x~)xx~ der durch die beiden Punkte verlaufenden Sekanten und kann wie gewohnt mit einem Steigungsdreieck berechnet werden:

Steigungsdreieck zum Bestimmen der Sekantensteigung
Steigungsdreieck zum Bestimmen der Sekantensteigung

Nehmen wir nun an, die Änderung einer Funktion ist beschränkt, d. h. die Steigungen der Sekanten werden nicht beliebig groß oder klein. Der Betrag |f(x)f(x~)xx~| besitzt also eine obere Schranke. Durch die Betragsstriche werden sowohl positive als auch negative Steigungen beschränkt. Es gibt also ein L, sodass für alle x~,xD mit xx~ die Ungleichung |f(x)f(x~)xx~|L gilt: . Diese Zahl L wird auch Lipschitz-Konstante genannt. Umstellen der Gleichung durch Multiplikation mit |xx~| liefert:

Vorlage:Einrücken

Diese Ungleichung |f(x)f(x~)|L|xx~| wird für die Definition der Lipschitz-Stetigkeit herangezogen. Wenn ein L diese Ungleichung für alle x,x~R erfüllt, so ist die Änderung der Funktion betragsmäßig beschränkt. Der Vorteil der Ungleichung |f(x)f(x~)|L|xx~| ist, dass sie auch für x=x~ erfüllt ist. So kann in der Definition die Bedingung xx~ wegfallen, welche für die Steigung f(x)f(x~)xx~ benötigt wird.

Definition

Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Definition

Diese Definition kann auch in Quantorenschreibweise ausgedrückt werden:

Vorlage:Einrücken

Die rechte Seite der obigen Äquivalenz kann dabei folgendermaßen übersetzt werden:

Vorlage:Einrücken

Was bringt Lipschitz-Stetigkeit?

Die Lipschitz-Konstante einer Lipschitz-stetigen Funktion gibt uns eine obere Schranke für das Änderungsverhalten der Funktion. Das ist hilfreich bei der Abschätzung von Funktionswerten.

Nehmen wir an, wir haben einen Punkt xD aus dem Definitionsbereich und den dazugehörigen Funktionswert f(x) gegeben. Wir wollen mithilfe dieser Information nun zu einem anderen Punkt yD die Lage des dazugehörigen Funktionswerts f(y) eingrenzen. Das erreichen wir, indem wir f(y) aus der durch die Lipschitzkonstante gegebenen maximalen Änderung zwischen zwei Funktionswerten nach oben und nach unten abschätzen. Wegen der Lipschitzstetigkeit gilt

Vorlage:Einrücken

Daraus folgt durch Addition von f(x) die Abschätzung:

Vorlage:Einrücken

So haben wir eine Abschätzung, wo sich der Wert f(y) befindet.

Visualisierung

Visualisierung über Kegel

Visualisieren wir die Lipschitz-Bedingung: Wir zeichnen für eine Lipschitz-stetige Funktion f:D durch den Funktionswert (x~,f(x~)) die Geraden g1 und g2, die durch diesen Punkt verlaufen und die Steigung L bzw. L haben. Oben haben wir gesehen, dass die Lipschitz-Bedingung f(x)f(x~)xx~L bedeutet, dass die Steigung aller beliebigen Sekanten durch den Punkt (x~,f(x~)) beschränkt ist. Das heißt, dass der Graph der Funktion zwischen diesen zwei Geraden verlaufen muss:

Visualisierung Lipschitz
Visualisierung Lipschitz

Diese Beschränkung der Funktion gilt für jedes beliebige x~ im Definitionsbereich. In unserem Bild können wir die zwei Geraden den Graphen entlang „verschieben“ und der Graph von f liegt immer im Bereich zwischen den zwei Geraden:

Lipschitz Animation
Lipschitz Animation

Falls die Funktion differenzierbar ist, so entspricht die Ableitung der Funktion in einem Punkt der Steigung der Tangenten in diesem Punkt. Aus dieser Visualisierung sieht man, dass die Ableitung einer Lipschitz-stetigen Funktion nicht größer werden kann als L, bzw. nicht kleiner als L, und somit der Betrag der Ableitung dieser Funktion beschränkt ist.

Unterschied zur gleichmäßigen Stetigkeit

Bei einer gleichmäßig stetigen Funktion findet man zu jedem ϵ ein δ, so dass sich die Funktion im ϵ-δ-Rechteck befindet, egal, wo man es anliegt. Die Abschätzung mit dem Rechteck ist aber in der Nähe von Funktionswerten schlechter als durch die Lipschitz-Ungleichung.

Ebenso wie die Lipschitz-Stetigkeit ist auch die gleichmäßige Stetigkeit eine globale Eigenschaft. Anders als die Lipschitz-Stetigkeit macht die gleichmäßige Stetigkeit aber keine Aussage über das Änderungsverhalten einer Funktion. Das ist ein Nachteil, wenn etwa die Lage eines Funktionswertes f(y) anhand eines Funktionswertes f(x) abgeschätzt werden soll.

Bei der Lipschitz-Stetigkeit herrscht ein linearer Zusammenhang zwischen dem Abstand yx und der größtmöglichen Differenz f(y)f(x). Das ist bei der gleichmäßigen Stetigkeit nicht der Fall, denn die Beschränkung |f(y)f(x)|ϵ der Funktionswerte ist für alle x,y mit |yx|δ dieselbe. Somit liefern die mit zunehmender Nähe zu x schmaler werdenden Kegel eine genauere Abschätzung als das „ϵ-δ-Rechteck“ der gleichmäßigen Stetigkeit. Zwar kann man ϵ beliebig klein wählen, um die Lage von f(y) genauer einzugrenzen. Allerdings kann es sein, dass dann auch δ sehr klein werden muss, damit die Funktion das Rechteck nicht verlässt. Dies ist beispielsweise bei der Wurzelfunktion an der Stelle x=0 der Fall.

Zusammenhang mit gleichmäßiger Stetigkeit

Wie hängt dieser neue Begriff der Lipschitz-Stetigkeit nun mit den vorherigen Begriffen der Stetigkeit und der gleichmäßigen Stetigkeit zusammen? Es stellt sich heraus, dass Lipschitz-Stetigkeit stärker ist als gleichmäßige Stetigkeit: Jede Lipschitz-stetige Funktion ist gleichmäßig stetig, aber nicht jede gleichmäßig stetige Funktion ist auch Lipschitz-stetig.

Lipschitz-stetige Funktionen sind gleichmäßig stetig

Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Satz

Nicht alle gleichmäßig stetigen Funktionen sind Lipschitz-stetig

Nun möchten wir uns noch überlegen, dass nicht alle gleichmäßig stetigen Funktionen Lipschitz-stetig sind. Dafür genügt es, ein Gegenbeispiel anzugeben, also eine Funktion, die zwar gleichmäßig stetig, aber nicht Lipschitz-stetig ist. Ein solches Gegenbeispiel liefert die Wurzelfunktion auf 0+. Für diese ist bewiesen, dass sie gleichmäßig stetig ist. Jetzt zeigen wir noch, dass sie nicht Lipschitz-stetig ist. Betrachte also:

Vorlage:Einrücken

Angenommen, sie wäre Lipschitz-stetig. Dann würde ein L0 existieren, so dass für alle x,y0+ gilt: |xy|<L|xy|. Damit würde dann für alle x,y0+ mit x>0 oder y>0 folgen:

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Wählt man aber zum Beispiel x=14L2>0 und y=0, so ist:

Vorlage:Einrücken

Das liefert einen Widerspruch und somit ist f nicht Lipschitz-stetig auf 0+.

Lipschitz-Stetigkeit impliziert Stetigkeit

Lipschitz-Stetigkeit impliziert Stetigkeit, was sich direkt aus dem vorherigen Abschnitt ergibt: Da Lipschitz-stetige Funktionen gleichmäßig stetig sind, sind sie insbesondere stetig. Das ist auch anschaulich klar, wenn wir uns überlegen, warum eine unstetige Funktion nicht Lipschitz-stetig sein kann:

Erinnern wir uns an die erste grobe Intuition zur Stetigkeit. Nach ihr sind stetige Funktionen solche Funktionen, die keine „Sprungstellen“ aufweisen:

Sprungstelle
Sprungstelle

Die abgebildete Funktion ist offensichtlich unstetig in x~=1. Stellen wir uns nun vor, wir legen eine Gerade durch den Punkt beim x~-Wert der Sprungstelle des Graphen, und durch einen weiteren Punkt des Graphen bei x>x~. Diese Gerade ist dann eine Sekante des Graphen.

Sekante an der Sprungstelle
Sekante an der Sprungstelle

Lässt man nun den Schnittpunkt bei x von rechts immer näher an die Sprungstelle bei x~ wandern, dann wird diese Sekante immer steiler und die Steigung geht gegen unendlich. Insbesondere ist es unmöglich, ein L zu finden, das die Steigung der Sekanten beschränkt: Haben wir ein solches gewählt, rücken wir einfach von rechts noch ein Stückchen näher an die Sprungstelle heran und finden so früher oder später ein neues x, für welches die Sekantensteigung f(x)f(x~)xx~ größer als L ist.

Damit sind (intuitiv betrachtet) alle Funktionen mit Sprungstellen nicht Lipschitz-stetig. Wenn wir dies nach dem Prinzip der Kontraposition umkehren, so sind alle Lipschitz-stetigen Funktionen stetig. Funktionen, deren Steigung begrenzt ist und die damit Lipschitz-stetig sind, können keine Sprungstellen aufweisen:

Sekante einer Funktion ohne Sprungstelle
Sekante einer Funktion ohne Sprungstelle

Beispiele

Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Beispiel

Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Beispiel

Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Beispiel

Aufgaben

Lineare Funktionen sind Lipschitz-stetig

Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Aufgabe

Quadratische Funktionen und Lipschitz-Stetigkeit

Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Aufgabe

Lipschitz-Stetigkeit und die Hyperbelfunktion

Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Gruppenaufgabe

Praktisches Kriterium für Lipschitz-Stetigkeit: Der Schrankensatz

Wir werden später mit Hilfe des Mittelwertsatzes ein praktisches Kriterium für die Lipschitz-Stetigkeit einer differenzierbaren Funktion herleiten, den Schrankensatz. Dieser lautet:

Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Satz

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