Mathe für Nicht-Freaks: Folgenkriterium der Stetigkeit: Folgenstetigkeit
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Motivation und Herleitung
Erste Beispiele
Betrachte den Grenzwert . In der Schule würde man diesen Grenzwert folgendermaßen ausrechnen:
Diese Rechnung ergibt intuitiv Sinn: Wenn , dann sollte sein. Doch können wir so argumentieren? Ist es erlaubt, den Limes in die Funktion reinzuziehen? Betrachte hierzu die Vorzeichenfunktion , welche das Vorzeichen von zurückgibt:
Wegen gilt:
Also ist . Dies zeigt, dass man den Limes nicht ohne Weiteres in eine Funktion hineinziehen kann. Im Funktionsplot sieht man, warum dies bei , jedoch nicht bei möglich ist. Bei konvergiert nämlich die Folge gegen , wenn geht:

Bei der Vorzeichenfunktion gibt es einen Sprung im Graphen bei , und deswegen konvergiert die Folge nicht gegen :

Wir stellen fest: Es gibt Funktionen, bei denen der Limes hineingezogen werden kann, und Funktionen, bei denen es nicht (immer) geht.
Sprungstellen und Stetigkeit
Wir erkennen, dass wir deswegen den Limes nicht in hineinziehen können, weil der Graph der Vorzeichenfunktion an der Stelle „einen Sprung macht“. Wir überlegen uns nun, warum das Hineinziehen des Limes nicht möglich ist, wenn der Graph beim Grenzwert der Argumentenfolge einen Sprung macht. Nehmen wir an, dass folgenden Graphen besitzt:

Wenn wir uns von links an annähern, dann nähern sich die Funktionswerte auch an an. Wenn also die Argumentenfolge fast ausschließlich (sprich: bis auf endlich viele Ausnahmen) nur aus reellen Zahlen kleiner gleich besteht, können wir den Limes hineinziehen. Dies schlägt jedoch fehl, wenn in der Argumentenfolge unendlich viele Zahlen größer als auftreten. Ihre Funktionswerte nähern sich nämlich nicht an, weil der Graph bei in die rechte Richtung einen Sprung macht. Durch den Sprung gibt es einen Mindestabstand, den die Funktionswerte in der Nähe und rechts von nicht unterschreiten. Der Sprung der Funktion an der Stelle verhindert, dass bei jeder Argumentenfolge der Limes hineingezogen werden kann.
Ähnliches passiert, wenn der Graph bei in die linke Richtung einen Sprung besitzt:

Hier schlägt das Hineinziehen des Limes fehl, wenn die Argumentenfolge unendlich viele Zahlen kleiner als besitzt. Die Funktionswerte links von nähern sich aufgrund des Sprungs nämlich nicht an.
Im Übrigen ist die Situation eine andere, wenn an der Sprungstelle nicht definiert ist:

Hier ergibt der Ausdruck keinen Sinn, weil die Funktion an der Stelle nicht definiert ist. Deswegen müssen wir nicht betrachten, ob dort der Limes hineingezogen werden kann. An allen anderen Stellen ist der Graph von kontinuierlich und damit stetig. Wir sehen: Ein Sprung macht nur dann eine Funkion unstetig, wenn die Funktion an der Sprungstelle definiert ist.
Übergang zur formalen Definition
Nehmen wir eine Funktion mit Sprungstelle im Punkt . Wenn man sich dem Argument von der einen Seite nähert, wird ein gewisser Abstand zwischen und nie unterschritten. Dieser Mindestabstand zwischen und wurde durch den Sprung an der Stelle verursacht. Wenn man sich von der anderen Seite an nähert, gehen die -Werte beliebig nah an heran (vorausgesetzt, dass hier keine zweite Sprungstelle vorliegt).
Für -Werte, die beliebig (=„unendlich“) nahe an herankommen sollen, können wir den Folgenbegriff verwenden. Dafür beschreiben wir die -Werte als Folge , die gegen konvergiert. Die Verwendung des Folgenbegriffs ist auch deswegen sinnvoll, weil wir für die Annäherung oft unendlich viele -Werte benötigen und Folgen ebenfalls unendlich viele Glieder besitzen.
Gehen wir nun davon aus, dass wir uns von der Seite nähern, bei der unsere gegenüber einen gewissen Mindestabstand in der Nähe von nicht unterschreiten. Dieser bleibt auch im Limes erhalten. Falls existiert, so wissen wir damit sicher, dass ist.
Nun haben wir nur die Annäherung von der Seite betrachtet, wo nicht gegen strebt. In unseren Beispielen können wir jedoch die Folge so wählen, dass ist. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn unsere von der anderen Seite an streben. Damit erfüllt ist, können wir unsere gegen konvergierende Folge also nicht beliebig wählen. Jedoch existiert zumindest eine Folge , für die nicht gegen strebt.
Herleitung des Folgenkriteriums
Fassen wir das bisher Gefundene zusammen:
Sprich: Im Fall eines Sprungs an der Stelle gilt für mindestens eine Folge von Argumenten mit Grenzwert . Nun ist nach unserer Intuition eine Funktion genau dann unstetig an einer Stelle, wenn ihr Graph dort einen Sprung macht. Wir können also definieren:
Um die Definition der Stetigkeit an einer Stelle zu finden, müssen wir die Negation der obigen Aussage nehmen. Nach dieser Überlegung können wir uns die Stetigkeit an einer Stelle als Abwesenheit eines Sprungs an der betrachteten Stelle vorstellen, und wir erhalten:
Bei Stetigkeit einer Funktion an einer Stelle kann der Limes hineingezogen werden, wenn die Argumentenfolge gegen diese Stelle konvergiert. Diese Definition der Stetigkeit ist das Folgenkriterium der Stetigkeit. Nun ist eine Funktion genau dann stetig, wenn sie an jeder Stelle ihres Definitonsbereichs stetig ist. Damit erhalten wir für die Stetigkeit einer Funktion:
Wir können zusammenfassen: Bei einer stetigen Funktion kann man den Limes in die Funktion hineinziehen – unabhängig vom Grenzwert der Argumentenfolge. Weil beispielsweise die Exponentialfunktion stetig ist, kann man immer den Limes in diese Funktion hineinziehen. Die Vorzeichenfunktion ist bei unstetig, und damit kann der Limes nicht in die Funktion gezogen werden, wenn die Argumentenfolge gegen null konvergiert.
Definition
Datei:Stetigkeit. Folgen-Definition - Quatematik.webm Im obigen Abschnitt haben wir bereits die Definition der Stetigkeit kennengelernt. Hier haben wir festgelegt:
<section begin="Folgenkriterium der Stetigkeit an einer Stelle" />Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Definition<section end="Folgenkriterium der Stetigkeit an einer Stelle" />
Darauf aufbauend haben wir definiert, dass eine Funktion stetig ist, wenn sie an jeder Stelle stetig ist:
<section begin="Folgenkriterium der Stetigkeit" />Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Definition<section end="Folgenkriterium der Stetigkeit" />
Stetigkeit garantiert uns also, dass wir den Limes in die Funktion hineinziehen können. Dies kann die Grenzwertberechnung ungemein vereinfachen, und somit ist Stetigkeit ein Konzept, auf das man bei Grenzwertberechnungen stößt.
Auswirkungen der Definition
Wir haben über unsere Vorstellung von Sprungstellen eine formale Definition von Stetigkeit gefunden. Diese hat sich im Laufe der Zeit als sinnvoll herausgestellt und wird in der mathematischen Community als Definition der Stetigkeit akzeptiert. Deswegen werden auch wir sie im Folgenden heranziehen. Somit ist die Grundlage für Entscheidungen, ob eine Funktion stetig ist, nicht mehr unsere Intuition – sondern das von uns gefundene Folgenkriterium. Dies hat gewisse Nebeneffekte. Betrachte die topologische Sinusfunktion:
Ihr Graph ist:

Bei dieser Funktion ist man sich intuitiv nicht sicher, ob sie an der Stelle stetig ist, denn in der Nähe davon schwingt die Funktion immer stärker. Schaut man sich den Graphen an, so sieht es (für mich) nicht nach einer gewöhnlichen Sprungstelle aus. Wenn wir aber unser Folgenkriterium der Stetigkeit heranziehen, können wir zeigen, dass die topologische Sinusfunktion an der Nullstelle trotzdem unstetig ist (Übungsaufgabe).
Als Nebenprodukt unserer Definition haben wir also neben der Sprungstelle eine andere Art der Unstetigkeit erhalten. Im Englischen wird sie essential discontinuity genannt. Diese werden bzw. müssen wir akzeptieren, sofern wir das Folgenkriterium als die Definition der Stetigkeit benutzen wollen. Es sei erwähnt, dass dies eine der Standarddefinitionen ist und wir mit einer Ablehnung wohl ziemlich einsam und verloren in der Welt der Mathematik wären.
Beispiel für das Folgenkriterium
Quadratfunktion ist stetig
<section begin="Stetigkeit der Quadratfunktion" /> Datei:Folgenkriterium – Stetigkeit der Quadratfunktion beweisen.webm
Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Aufgabe<section end="Stetigkeit der Quadratfunktion" />
Anwendung des Folgenkriteriums
Datei:Kleines Anwendungsbeispiel für das Folgenkriterium.webm Nachdem wir bewiesen haben, dass die Quadratfunktion stetig ist, können wir immer den Limes in diese Funktion hineinziehen, ohne großartig darüber nachdenken zu müssen. Dies ist das Schöne an der Stetigkeit, wie es folgende Beispielaufgabe zeigt:
Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Aufgabe
Allgemeine Beweisskizzen
Stetigkeitsbeweise mit dem Folgenkriterium
<section begin="Beweisskizze:Stetigkeit" />Datei:Stetigkeit mit Folgenkriterium zeigen (Beweisschema).webm Um die Stetigkeit einer Funktion an einer Stelle zu beweisen, müssen wir zeigen, dass für jede Folge von Argumenten mit gilt, dass ist. Dementsprechend könnte ein Beweis lauten:
Um die Stetigkeit der Funktion zu beweisen, muss das Beweisschema etwas angepasst werden:
Vorlage:-<section end="Beweisskizze:Stetigkeit" />
Unstetigkeitsbeweise mit dem Folgenkriterium
<section begin="Beweisskizze:Unstetigkeit" />Datei:Beweisschema- Unstetigkeit mit Folgenkriterium zeigen.webm Um mit dem Folgenkriterium zu zeigen, dass eine Funktion an der Stelle unstetig ist, muss man eine Argumentenfolge mit für alle und dem Grenzwert finden, so dass die Funktionswertfolge nicht gegen konvergiert. Es soll also und gelten. Für gibt es zwei Möglichkeiten:
- Die Funktionswertfolge divergiert.
- Die Funktionswertfolge konvergiert, jedoch ist ihr Grenzwert ungleich .
Ein Unstetigkeitsbeweis über das Folgenkriterium könnte zum Beispiel folgende Form aufweisen:
Vorlage:-<section end="Beweisskizze:Unstetigkeit" />
Zusammenhang zum Epsilon-Delta-Kriterium
{{#lst:Mathe für Nicht-Freaks: Epsilon-Delta-Kriterium der Stetigkeit|Äquivalenz zum Folgenkriterium}}
Übungsaufgaben
Stetigkeit der Betragsfunktion
<section begin="Aufgabe:Stetigkeit der Betragsfunktion" />Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Aufgabe<section end="Aufgabe:Stetigkeit der Betragsfunktion" />
Unstetigkeit der topologischen Sinusfunktion
<section begin="Aufgabe:Unstetigkeit der topologischen Sinusfunktion" />Datei:Beweis der Unstetigkeit der topologischen Sinusfunktion mit Hilfe des Folgenkriteriums.webm Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Aufgabe<section end="Aufgabe:Unstetigkeit der topologischen Sinusfunktion" />
{{#invoke:Mathe für Nicht-Freaks/Seite|unten|quellen=
- Antwort auf die Frage „Why is continuity defined as a local property?“ von Jessica B der Q&A Seite matheducators.stackexchange.com, lizenziert unter CC-BY-SA 3.0, abgerufen am 17.07.2016.
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