Mathe für Nicht-Freaks: Ableitung und Differenzierbarkeit

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{{#invoke:Mathe für Nicht-Freaks/Seite|oben}} Mit der Ableitung werden wir eines der wichtigsten Konzepte der Analysis kennenlernen. Die Ableitung entspricht der Änderungsrate einer Funktion. Sie wird in den Naturwissenschaften oft genutzt, um in mathematischen Modellen die Veränderung eines Systems zu modellieren. Mit Hilfe der Ableitung können wir eine Funktion auf viele ihrer Eigenschaften untersuchen.

Intuitionen der Ableitung

Für die Ableitung gibt es mehrere Intuitionen, die alle eng zusammenhängen:

  • Ableitung als momentane Änderungsrate: Die Ableitung entspricht dem, was wir intuitiv als momentane Änderungsrate einer Funktion verstehen. Eine Änderungsrate beschreibt dabei, wie stark sich eine Größe bezüglich einer anderen Bezugsgröße ändert. Bei der momentanen Änderungsrate wird diese Bezugsgröße als „unendlich klein“ angenommen. Es wird also der Grenzwert der Änderungsrate betrachtet, wenn die Bezugsgröße gegen Null konvergiert. Ein Beispiel hierfür ist die Geschwindigkeit. Diese ist die momentane Änderungsrate des Ortes bezüglich der Zeit und gibt an, wie stark sich der Ort eines Objekts zu einem bestimmten Zeitpunkt mit der Zeit ändert.
  • Ableitung als Tangentensteigung: Die Ableitung entspricht der Steigung, die die Tangente des Graphen an der Stelle der Ableitung besitzt. Damit löst die Ableitung das geometrische Problem, die Tangente an einen Graphen durch einen Punkt zu bestimmen.
  • Ableitung als Steigung der lokal besten linearen Approximation: Jede an einer Stelle ableitbare Funktion kann in einer Umgebung um diesen Punkt gut durch eine lineare Funktion approximiert werden. Die Ableitung entspricht der Steigung dieser linearen Funktion. Damit kann die Ableitung genutzt werden, um Funktionen lokal durch lineare Funktionen gut anzunähern.
  • Ableitung als verallgemeinerte Steigung: Zunächst ist der Begriff der Steigung einer Funktion nur für lineare Funktionen definiert. Man kann die Ableitung aber benutzen, um die Steigung auch für nicht-lineare Funktionen zu definieren.

Diese Intuitionen werden wir im Folgenden detailliert besprechen und aus ihnen eine formale Definition der Ableitung herleiten. Außerdem werden wir sehen, dass ableitbare Funktionen „knickfrei“ sind, weshalb sie auch glatte Funktionen genannt werden.

Ableitung als momentane Änderungsrate

Berechnung der Ableitung

Die Ableitung entspricht der momentanen Änderungsrate einer Funktion f. Wie kann diese momentane Änderungsrate einer Funktion bestimmt oder definiert werden? Sei zum Beispiel f eine reellwertige Funktion, die folgenden Graph besitzt:

Die Funktion f
Die Funktion f

So kann f eine physikalische Größe in Abhängigkeit von einer anderen Größe beschreiben. Beispielsweise könnte f(x) dem zurückgelegten Weg eines Objekts zum Zeitpunkt x entsprechen. f(x) könnte auch der Luftdruck in der Höhe x oder die Populationsgröße einer Art zum Zeitpunkt x sein. Nehmen wir nun das Argument x~, an dem die Funktion den Funktionswert f(x~) besitzt:

Die Funktion f mit eingezeichnetem Argument und Funktionswert
Die Funktion f mit eingezeichnetem Argument und Funktionswert

Nehmen wir einmal an, dass f(x) der zurückgelegte Weg eines Autos zum Zeitpunkt x ist. Dann ist die momentane Änderungsrate von f an der Stelle x~ gleich der Geschwindigkeit des Objekts zum Zeitpunkt x~. Wie kann diese Geschwindigkeit bestimmt werden?

Anstatt die Geschwindigkeit direkt zu berechnen, können wir sie schätzen. Wir nehmen einen Zeitpunkt x1 in der Zukunft und schauen, welchen Weg das Auto im Zeitraum von x~ bis x1 zurückgelegt hat. Der in dieser Zeit zurückgelegte Weg ist gleich der Differenz f(x1)f(x~), während die Zeitdifferenz gleich x1x~ ist. Nun ist die Geschwindigkeit gleich dem Quotienten WegZeit. Damit hat das Auto im Zeitraum von x~ nach x1 die durchschnittliche Geschwindigkeit

Vorlage:Einrücken

Dieser Quotient, der die durchschnittliche Änderungsrate von der Funktion f im Intervall [x~,x1] angibt, wird Differenzenquotient genannt. Entsprechend seines Namens ist er ein Quotient von zwei Differenzen. In folgender Abbildung sehen wir, dass dieser Differenzenquotient gleich der Steigung derjenigen Sekante ist, die durch die Punkte (x~,f(x~)) und (x1,f(x1)) geht:

Die durchschnittliche Änderungsrate ist gleich der Steigung der Sekante
Die durchschnittliche Änderungsrate ist gleich der Steigung der Sekante

Diese durchschnittliche Geschwindigkeit ist eine erste Approximation der aktuellen Geschwindigkeit unseres Autos zum Zeitpunkt x~. Nun muss die Bewegung des Autos zwischen den Zeitpunkten x~ und x1 nicht gleichförmig verlaufen sein – es kann beschleunigen oder abbremsen. Die momentane Geschwindigkeit zum Zeitpunkt x~ ist also im Allgemeinen eine andere als die durchschnittliche Geschwindigkeit im Zeitraum zwischen x~ und x1. Ein besseres Ergebnis sollten wir erhalten, wenn wir den Zeitraum für die Berechnung der durchschnittlichen Geschwindigkeit verkürzen. Wir betrachten also einen Zeitpunkt x2, der näher an x~ liegt, und bestimmen die durchschnittliche Geschwindigkeit f(x2)f(x~)x2x~ für den neuen Zeitraum zwischen x~ und x2:

Sekante bei einem Punkt näher an der Ableitungstelle
Sekante bei einem Punkt näher an der Ableitungstelle

Diesen Prozess wiederholen wir beliebig oft. Wir betrachten also eine Folge (xn)n von Zeitpunkten, die alle von x~ verschieden sind und die gegen x~ konvergieren. Für jedes xn berechnen wir die durchschnittliche Geschwindigkeit f(xn)f(x~)xnx~ des Autos im Zeitraum von x~ bis xn. Je kürzer xnx~ ist, desto weniger sollte das Auto in diesem Zeitraum beschleunigen oder abbremsen können und umso mehr entspricht dann die durchschnittliche Geschwindigkeit der momentanen Geschwindigkeit des Autos zum Zeitpunkt x~:

Die Sekantensteigungen (= durchschnittliche Änderungsrate) geht in die Ableitung (= momentane Änderungsrate) über
Die Sekantensteigungen (= durchschnittliche Änderungsrate) geht in die Ableitung (= momentane Änderungsrate) über
Für xnx0 geht die durchschnittliche Änderungsrate f(xn)f(x0)xnx0 in die momentane Änderungsrate der Funktion an der Stelle x0 über.

Weil der Zeitabstand xnx beliebig klein wird (es ist limnxnx=0), sollte die Folge der Durchschnittsgeschwindigkeiten (f(xn)f(x~)xnx~)n gleich der momentanen Geschwindigkeit des Autos zum Zeitpunkt x~ sein.

Damit haben wir eine Methode gefunden, um die momentane Änderungsrate von f an der Stelle x~ zu bestimmen: Wir nehmen eine beliebige Folge von Argumenten (xn)n, die alle verschieden von x~ sind und für die limnxn=x~ ist. Für jedes xn bestimmen wir den Quotienten f(xn)f(x~)xnx~. Die momentane Änderungsrate ist der Grenzwert dieser Quotienten:

Vorlage:Einrücken

Für die Ableitung von f an der Stelle x~ schreiben wir f(x~). Damit können wir notieren:

Vorlage:EinrückenDer dabei auftretende Grenzwert der Differenzenquotienten wird Differentialquotient genannt.

Konkretisierung

Nun haben wir in unserem Beispiel stets Zeitpunkte in der Zukunft von x~ betrachtet. Was passiert, wenn wir einen Zeitpunkt xn in der Vergangenheit von x~ betrachten? Hier erhalten wir folgendes Bild:

Die durchschnittliche Änderungsrate bezüglich eines Arguments kleiner der Ableitungsstelle
Die durchschnittliche Änderungsrate bezüglich eines Arguments kleiner der Ableitungsstelle

Die durchschnittliche Geschwindigkeit im Zeitraum von xn bis x~ ist dann gleich f(x~)f(xn)x~xn. Wenn wir diesen Quotienten um 1 erweitern, erhalten wir:

Vorlage:Einrücken

Wir erhalten denselben Term wie im vorherigen Abschnitt. Dieser gibt die durchschnittliche Geschwindigkeit an, egal ob xn<x~ oder xn>x~ ist. Damit sollte dessen Wert im Fall xn<x~ auch nah an der momentanen Geschwindigkeit des Autos zum Zeitpunkt x~ liegen, wenn xn nur hinreichend nah an x~ liegt. Es ist also

Vorlage:Einrücken

wobei (xn)n eine beliebige Folge von Argumenten ungleich x~ mit limnxn=x~ ist. Die Folgenglieder von (xn)n können dabei je nach Index n manchmal größer und manchmal kleiner als x~ sein:

Eine Folge von Sekanten, um die Ableitung zu berechnen
Eine Folge von Sekanten, um die Ableitung zu berechnen

Verfeinerung der Definition

Sei nun f:D eine beliebige reellwertige Funktion und sei x~D. Wie wir im obigen Abschnitt gesehen haben, ist

Vorlage:Einrücken

wobei (xn)n eine Folge von Argumenten ungleich x~ ist, die gegen x~ konvergiert. Damit es mindestens eine solche Folge von Argumenten gibt, muss x~ ein Häufungspunkt vom Definitionsbereich D sein (eine Zahl ist genau dann Häufungspunkt einer Menge, wenn es eine Folge in dieser Menge ungleich dieser Zahl gibt, die gegen diese Zahl konvergiert). Das hört sich jetzt vielleicht komplizierter an, als es häufig ist. In den meisten Fällen ist D ein Intervall und dann ist jedes x~D ein Häufungspunkt von D. Für die Definition des Differentialquotienten soll es egal sein, welche Folge (xn)n wir wählen. Dementsprechend können wir die Ableitung definieren:

Vorlage:-

Nun können wir diese Definition abkürzen, indem wir die Grenzwertdefinition für Funktionen benutzen. Zur Erinnerung: Es ist nach Definition genau dann limxcg(x)=L, wenn limng(xn)=L für alle Folgen (xn)n von Argumenten ungleich c mit limnxn=c ist. Also:

Vorlage:-

Die h-Methode

Definition der Ableitung über die h-Methode: Zu den jeweiligen h-Werten sind die dazugehörigen Sekanten eingezeichnet. Du siehst, dass für h0 die Sekante in die Tangente und somit die Sekantensteigung (Differenzenquotien) in die Tangentensteigung (Ableitung) übergeht.

Es gibt eine weitere Möglichkeit, die Ableitung zu definieren. Hierzu gehen wir vom Differentialquotienten limxx~f(x)f(x~)xx~ aus und führen die Variablenersetzung x=x~+h durch. Die neue Variable h ist also der Unterschied zwischen der Stelle x~, bei der die Ableitung bestimmt werden soll, zu dem Punkt, wo der Differenzenquotient gebildet wird. Für xx~ geht h0. Damit können wir die Ableitung auch definieren als

Vorlage:-

Anwendungen in den Naturwissenschaften

Die Ableitung haben wir als momentane Änderungsrate einer Größe kennengelernt. Als solche tritt sie in den Naturwissenschaften häufig auf. Folgende Größen sind beispielsweise als Änderungsraten definiert:

  • Geschwindigkeit: Die Geschwindigkeit ist die momentane Änderungsrate des zurückgelegten Wegs eines Objekts.
  • Beschleunigung: Die Beschleunigung ist die momentane Änderungsrate der Geschwindigkeit eines Objekts.
  • Druckänderung: Sei p(h) der Luftdruck in der Höhe h. Die Ableitung p(h) ist die Änderungsrate des Luftdrucks mit der Höhe. Dieses Beispiel zeigt, dass die Änderungsrate nicht immer auf die Zeit bezogen sein muss. Es kann auch die Änderungsrate bezüglich einer anderen Größe, wie zum Beispiel der Höhe, sein.
  • Chemische Reaktionsrate: Betrachten wir eine chemische Reaktion AB. Sei dA(t) die Konzentration des Stoffs A zum Zeitpunkt t. Die Ableitung dA(t) ist die momentane Änderungsrate der Stoffkonzentration von A und damit gibt sie an, wie viel des Stoffs A in den Stoff B umgesetzt wird. Damit gibt dA(t) die chemische Reaktionsrate für die Reaktion AB an.
  • Änderung der Population: Oft betrachtet man die Anzahl an Individuen N(t) in einer Population (zum Beispiel die Anzahl an Menschen auf dem Planeten, die Anzahl an Bakterien in einer Petrischale, die Anzahl an Tieren einer Gattung oder die Anzahl der Atome eines radioaktiven Stoffs). Die Ableitung N(t) gibt die momentane Änderungsrate der Individuen zum Zeitpunkt t wieder.

Definitionen

Ableitung und Differenzierbarkeit

Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Definition

Differenzenquotient und Differentialquotient

Der Differenzenquotient zwischen x0 und x1 entspricht der Steigung der blauen Sekanten

Die Begriffe „Differenzenquotient“ und „Differentialquotient“ sind folgendermaßen definiert:

Vorlage:Einrücken

Vorlage:Noprint

Ableitungsfunktion

Die Ableitungsfunktion ordnet jedem Argument x der Funktion f ihre Ableitung f(x) zu. In dieser Animation wird die Ableitungsfunktion an verschiedenen Stellen der Funktion ausgewertet. Dabei wird die Tangente wie die Ableitung an dieser Stelle angezeigt.

Ist eine Funktion f:D mit D an jeder Stelle ihres Definitionsbereichs differenzierbar, so besitzt f an jedem Punkt in D eine Ableitung. Die Funktion, die jedem Argument x~ ihre Ableitung f(x~) zuordnet, heißt Ableitungsfunktion von f:

Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Definition

Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Warnung

Notationen

Geschichtlich bedingt wurden unterschiedliche Notationen entwickelt, um die Ableitung einer Funktion darzustellen. In diesem Artikel haben wir bisher nur die Notation f für die Ableitung von f kennengelernt. Sie geht auf den Mathematiker Joseph-Louis Lagrange zurück, der sie 1797 einführte[1]. Mit dieser Notation wird die zweite Ableitung von f mit f und die n-te Ableitung mittels f(n) notiert.

Isaac Newton - neben Leibniz der Begründer der Differentialrechnung - notierte die erste Ableitung von x mit x˙, entsprechend notierte er die zweite Ableitung durch x¨. Heutzutage wird diese Schreibweise hauptsächlich in der Physik für die Ableitung nach der Zeit verwendet.

Gottfried Wilhelm Leibniz führt für die erste Ableitung von f nach der Variablen x die Notation dfdx(x) ein. Gelesen wird diese Schreibweise als „d f von x nach d x“. Für die zweite Ableitung notierte Leibniz d2fdx2(x) und die n-te Ableitung wird mittels dnfdxn(x) notiert.

Bei den Schreibweisen von Leibniz handelt es sich nicht um einen Bruch! Die Symbole df und dx werden als Differentiale bezeichnet, welche aber in der modernen Analysis (abgesehen von der Theorie der sogenannten „Differentialformen“) lediglich eine symbolische Bedeutung haben. Sie sind nur in dieser Schreibweise als formaler Differentialquotient erlaubt. Nun gibt es Anwendungen der Ableitung (wie zum Beispiel die „Kettenregel“ oder „Integration durch Substitution“), in denen man mit den Differentialen df beziehungsweise dx so umgehen kann, als seien sie gewöhnliche Variablen und in denen man so zu richtigen Lösungen kommt. Da es aber in der modernen Analysis keine Differentiale gibt, handelt es sich bei solchen Rechnungen nicht um formal richtige Argumentationen.

Die Notation Df oder Dxf(x) für die erste Ableitung von f geht auf Leonhard Euler zurück. In dieser Notation wird die zweite Ableitung durch D2f oder Dx2f(x) und die n-te Ableitung durch Dnf oder Dxnf(x) geschrieben.

Übersicht zu allen Notationen

Schreibweise von … 1. Ableitung 2. Ableitung n-te Ableitung
Lagrange f f f(n)
Newton f˙ f¨ f˙n
Leibniz dfdx d2fdx2 dnfdxn
Euler Df D2f Dnf

Ableitung als Tangentensteigung

Für Δx=xx~0 geht die Sekantensteigung f(x)f(x~)xx~ in die Tangentensteigung über. Damit ist die Ableitung f(x~) gleich der Steigung der Tangenten, die den Graphen am Punkt (x~,f(x~)) berührt.
Bei differenzierbaren Funktionen kann an jedem Punkt es Graphen eine Tangente angelegt werden. Die Ableitung entspricht der Steigung dieser Tangente.

Die Ableitung f(x~) entspricht dem Grenzwert limxx~f(x)f(x~)xx~. Dabei ist der Differenzenquotient f(x)f(x~)xx~ die Steigung der Sekante zwischen den Punkten (x~,f(x~)) und (x,f(x)). Bei der Grenzwertbildung xx~ geht diese Sekante in die Tangente über, die den Graphen von f im Punkt (x~,f(x~)) berührt:

Funktion mit eingezeichneter Sekante und Tangente
Funktion mit eingezeichneter Sekante und Tangente

Damit ist die Ableitung f(x~) gleich der Steigung der Tangente am Graphen durch den Punkt (x~,f(x~)). Die Ableitung kann also genutzt werden, um die Tangente an einem Graphen zu bestimmen. Somit löst sie auch ein geometrisches Problem. Mit f(x~) kennen wir die Steigung der Tangente und mit (x~,f(x~)) einen Punkt auf der Tangente. Damit können wir die Funktionsgleichung dieser Tangente bestimmen.

Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Frage

Ableitung als Steigung der lokal besten linearen Approximation

Approximation einer differenzierbaren Funktion

Die Ableitung kann auch zur Approximation einer Funktion genutzt werden. Um diese Approximation zu finden gehen wir von der Grenzwertdefinition der Ableitung aus:

Vorlage:Einrücken

Der Differenzenquotient f(x)f(x~)xx~ liegt also beliebig nah an der Ableitung f(x~), wenn x hinreichend nah an x~ ist. Für xx~ können wir schreiben:

Vorlage:Einrücken

Im Folgenden nehmen wir an, dass der Ausdruck xx~ für „x ist ungefähr so groß wie x~“ wohldefiniert ist und den üblichen Rechengesetzen für Gleichungen gehorcht. Damit können wir diese Gleichung umstellen zu

Vorlage:Einrücken

Wenn x hinreichend nah an x~ liegt, dann ist f(x) ungefähr gleich dem Wert f(x~)+f(x~)(xx~). Dieser Wert kann somit in der Nähe der Ableitungsstelle als Approximation von f(x) verwendet werden. Dabei ist die Funktion mit der Zuordnungsvorschrift xf(x~)+f(x~)(xx~) eine lineare Funktion, da x~ ein beliebiger aber fester Punkt ist.

Die Zuordnungsvorschrift t(x)=f(x~)+f(x~)(xx~) beschreibt dabei die Tangente, die den Funktionsgraphen an der Stelle der Ableitung berührt. Die Tangente ist also in der Nähe des Berührungspunkts eine gute Approximation des Funktionsgraphen. Dies zeigt auch das folgende Diagramm. Wenn man in einer differenzierbaren Funktion an einer Stelle nah genug reinzoomt, so sieht der Funktionsgraph näherungsweise wie eine Gerade aus:

Differenzierbare Funktion sehen lokal wie eine Gerade aus
Differenzierbare Funktion sehen lokal wie eine Gerade aus

Diese Gerade wird durch die Zuordnungsvorschrift t(x)=f(x~)+f(x~)(xx~) beschrieben und entspricht der Tangente des Graphen an dieser Stelle.

Beispiel: Kleinwinkelnäherung des Sinus

Schauen wir uns das gerade Besprochene an einem Beispiel an. Hierfür betrachten wir die, für gewöhnlich aus der Schule bekannte, Sinusfunktion sin(x). Ihr Graph ist

Der Graph der Sinus-Funktion
Der Graph der Sinus-Funktion

Wie wir noch sehen werden, ist die Ableitung des Sinus der Kosinus und damit ist

Vorlage:Einrücken

Nach dem Abschnitt zur Approximation gilt damit

Vorlage:Einrücken

In der Nähe der Null ist also sin(x)x. Dies ist die sogenannte Kleinwinkelnäherung. So kann sin(14) durch 14 angenähert werden. Mit sin(14)=0,2474 ist diese Annäherung auch recht gut. Im folgenden Diagramm sieht man, dass in der Nähe des Nullpunkts die Sinusfunktion ungefähr durch sin(x)x beschrieben werden kann:

Die Kleinwinkelnäherung für die Sinus-Funktion
Die Kleinwinkelnäherung für die Sinus-Funktion

Das Diagramm zeigt aber auch, dass diese Approximation nur in der Nähe der Ableitungstelle gut ist. Bei Werten x weit weg von der Null unterscheidet sich sin(x) stark von x. Die Approximation sin(x)x ist folglich nicht immer sinnvoll.

Qualität der Approximation

Wie gut ist die Approximation f(x)f(x~)+f(x~)(xx~)? Um dies zu beantworten, sei ϵ(x) derjenige Wert mit

Vorlage:Einrücken

Der Wert ϵ(x) ist damit der Unterschied zwischen dem Differenzenquotienten f(x)f(x~)xx~ und der Ableitung f(x~). Dieser Unterschied verschwindet für den Grenzübergang xx~, weil für diesen Grenzübergang der Differenzenquotient in den Differentialquotienten, also der Ableitung f(x~), übergeht. Es gilt also limxx~ϵ(x)=0. Nun können wir die obige Gleichung umstellen und erhalten so

Vorlage:Einrücken

Der Fehler zwischen f(x) und f(x~)+f(x~)(xx~) ist damit gleich dem Term δ(x)=ϵ(x)(xx~). Wegen limxx~ϵ(x)=0 ist auch

Vorlage:Einrücken

Der Fehler δ(x) verschwindet also für xx~. Wir können aber noch mehr sagen: δ(x) fällt schneller als ein linearer Term gegen Null ab. Selbst wenn wir δ(x) durch xx~ teilen und so diesen Term in der Nähe von x~ stark vergrößern, verschwindet δ(x)xx~ für xx~. Es ist nämlich

Vorlage:Einrücken

Der Fehler δ(x) in der Approximation f(x)f(x~)+f(x~)(xx~) fällt also für xx~ schneller als linear gegen Null ab. Fassen wir die bisherige Argumentation in einem Satz zusammen:

Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Satz

Alternative Definition der Ableitung

Dass differenzierbare Funktionen durch lineare Funktionen approximiert werden können, charakterisiert den Begriff der Ableitung. Jede Funktion f ist an der Stelle x~ ableitbar, wenn eine reelle Zahl c sowie eine Funktion δ existieren, so dass f(x)=f(x~)+c(xx~)+δ(x) und limxx~δ(x)xx~=0 gelten. Ihre Ableitung ist dann f(x~)=c. Es gilt nämlich

Vorlage:Einrücken

Somit können wir die Ableitung auch wie folgt definieren:

Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Definition

Beschreibung der Ableitung über stetige Funktion Vorlage:Anker

Es gibt eine weitere Charakterisierung der Ableitung. Wir beginnen hierfür mit der Formel

Vorlage:Einrücken

Dabei ist ϵ(x) der Unterschied zwischen dem Differenzenquotienten und der Ableitung, welcher für xx~ verschwindet. Wenn wir diese Formel umstellen erhalten wir:

Vorlage:Einrücken

Dabei erfüllt φ(x) für xx~ die Eigenschaft

Vorlage:Einrücken

Damit kann φ(x) in eine an der Stelle x~ stetige Funktion erweitert werden, wobei der Funktionswert φ(x~)=f(x~) gewählt wird. Diese Darstellung einer ableitbaren Funktion ermöglicht eine weitere Charakterisierung stetiger Funktionen:

Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Satz

Ableitung als verallgemeinerte Steigung

Die Steigung einer linearen Funktion entspricht dem Quotienten ΔyΔx=y2y1x2x1.

Die Steigung ist zunächst nur für lineare Funktionen g mit der Zuordnungsvorschrift g(x)=mx+b mit m,b definiert. Bei solchen Funktionen ist die Steigung gleich dem Wert m und kann über den Differenzenquotienten berechnet werden. Für zwei verschiedene Argumente x und x~ aus dem Definitionsbereich von g gilt nämlich

Vorlage:Einrücken

Nun ist m auch die Ableitung von g an jedem Häufungspunkt x~ des Definitionsbereichs:

Vorlage:Einrücken

Die Ableitung linearer Funktionen ist daher stets gleich ihrer Steigung. Der Begriff der Ableitung stimmt also bei linearen Funktionen mit jenem der Steigung überein. Außerdem ist er bei allen differenzierbaren Funktionen definiert. Somit stellt die Ableitung eine Verallgemeinerung der Steigung dar. Zur Erinnerung: Ein Begriff A ist genau dann eine Verallgemeinerung eines anderen Begriffs B, wenn A überall dort mit B übereinstimmt, wo B definiert ist und A auf weitere Fälle angewandt werden kann.

Somit können wir die Ableitung als momentane Steigung einer Funktion ansehen. Der Steigungsbegriff geht damit von einer globalen Eigenschaft (die Steigung bei linearen Funktionen ist für die gesamte Funktion definiert), in eine lokale Eigenschaft über (die Ableitung ist die momentane Änderungsrate einer Funktion).

Beispiele

Beispiel einer differenzierbaren Funktion

Graph der Quadratfunktion
Die Ableitungsfunktion der Quadratfunktion mit der Zuordnungsvorschrift f(x)=2x

Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Beispiel

Beispiel einer nicht differenzierbaren Funktion

Die Betragsfunktion ist an der Stelle x~=0 nicht ableitbar.

Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Beispiel

Definition

Die Ableitung einer Funktion f:D ist der Grenzwert des Differenzenquotienten f(x)f(x~)xx~ für xx~. Der Differenzenquotient kann dabei als eine Funktion D{x~} aufgefasst werden, die für alle xD außer für x=x~ definiert ist. Damit handelt es sich beim Grenzwert limxx~f(x)f(x~)xx~ um einen Grenzwert einer Funktion.

Die Begriffe „linksseitiger und rechtsseitiger Grenzwert“ können auch für den Differenzenquotienten betrachtet werden. So erhalten wir die Begriffe „linksseitige“ beziehungsweise „rechtsseitige“ Ableitung. Bei der linksseitigen Ableitung werden nur Sekanten links von der betrachteten Stelle evaluiert. Es werden also nur Differenzenquotienten f(x)f(x~)xx~ betrachtet, bei der x<x~ ist. Dann wird überprüft, ob diese Differenzenquotienten für den Grenzübergang xx~ gegen eine Zahl konvergieren. Wenn ja, dann ist diese Zahl der linksseitige Grenzwert. Also:

Vorlage:Einrücken

Dabei ist f'(x~) die Schreibweise für die linksseitige Ableitung von f an der Stelle x~. Damit dieser Grenzwert Sinn ergibt, muss es mindestens eine Folge (xn)n von Argumenten geben, die von links gegen x~ konvergiert. Es muss also x~ ein Häufungspunkt der Menge D(,x~)={xD:x<x~} sein.

Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Definition

Auf analoge Weise kann die rechtsseitige Ableitung folgendermaßen definiert werden:

Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Definition

Funktionen besitzen an einer Stelle in ihrem Definitionsbereich nur dann einen Grenzwert, wenn sowohl der linksseitige als auch der rechtsseitige Grenzwert an dieser Stelle existieren und beide Grenzwerte übereinstimmen. Diesen Satz können wir direkt auf Ableitungen anwenden:

Vorlage:-

Beispiel

Wir haben bereits gezeigt, dass die Betragsfunktion f::x|x| an der Stelle x~=0 nicht differenzierbar ist. Jedoch können wir zeigen, dass die rechtsseitige Ableitung an dieser Stelle existiert und gleich 1 ist:

Vorlage:Einrücken

Analog können wir zeigen, dass die linksseitige Ableitung an derselben Stelle gleich 1 ist:

Vorlage:Einrücken

Weil die rechtsseitige und die linksseitige Ableitung nicht übereinstimmen, ist die Betragsfunktion an der Stelle x~=0 nicht ableitbar. Sie besitzt dort zwar links- und rechtsseitige Ableitungen, aber keine Ableitung.

Differenzierbare Funktionen sind knickfrei

Im obigen Beispiel haben wir gesehen, dass die Betragsfunktion nicht differenzierbar ist. Dies liegt daran, dass die Betragsfunktion an der Stelle ξ=0 „einen Knick hat“, so dass die linksseitige und die rechtsseitige Ableitung verschieden ist. Wenn wir von links an ξ=0 gehen, ist die Ableitung gleich 1, während die Ableitung von der rechten Seite aus gleich 1 ist. Der Knick in der Betragsfunktion verhindert also die Differenzierbarkeit.

Wenn also eine Funktion einen Knick besitzt, ist sie an dieser Stelle nicht ableitbar. Sprich: Ableitbare Funktionen sind knickfrei. Man nennt sie deswegen auch glatte Funktionen. Dies heißt aber nicht, dass knickfreie Funktionen automatisch ableitbar sind. Betrachten wir als Gegenbeispiel die Vorzeichenfunktion sgn(x) mit der Definition

Vorlage:Einrücken

Ihr Graph ist

Graph der Vorzeichenfunktion
Graph der Vorzeichenfunktion

Diese ist an der Nullstelle x~=0 nicht ableitbar, da dort wegen dem Sprung in der Funktion der Differenzenquotient gegen Unendlich konvergiert. Für die rechtsseitige Ableitung gilt beispielsweise:

Vorlage:Einrücken

Auch besitzt die Vorzeichenfunktion an der Nullstelle keinen Knick. Schließlich macht die Funktion dort einen Sprung und es wäre daher sinnlos dort von einem „Knick in der Funktion“ zu sprechen. Hierzu müsste die Funktion an der betrachteten Stelle stetig sein.

Am Beispiel der Vorzeichenfunktion sehen wir, dass Knickfreiheit und Ableitbarkeit nicht dasselbe sein kann. Knickfreiheit ist allerdings eine Voraussetzung für Ableitbarkeit. Folglich sind ableitbare Funktionen glatt (=knickfrei).

Zusammenhang zwischen Differenzierbarkeit, Stetigkeit und stetiger Differenzierbarkeit

Stetige Differenzierbarkeit einer Funktion f impliziert ihre Differenzierbarkeit, woraus wiederum ihre Stetigkeit folgt. Die Umkehrungen gelten im Allgemeinen nicht, wie wir im Laufe dieses Abschnitts sehen werden:

Vorlage:Einrücken

Die erste Implikation folgt direkt aus der Definition: Eine Funktion f heißt genau dann stetig differenzierbar, wenn sie differenzierbar ist und die Ableitungsfunktion f stetig ist. Damit sind stetig differenzierbare Funktionen auch differenzierbar. Die zweite Implikation zeigen wir im Folgenden.

Jede differenzierbare Funktion ist stetig

Wir zeigen nun, dass jede an einer Stelle differenzierbare Funktion an dieser Stelle auch stetig ist. Damit ist Differenzierbarkeit eine stärkere Forderung an eine Funktion als Stetigkeit:

Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Satz

Anwendung: Unstetige Funktionen sind nicht differenzierbar

Aus dem vorherigen Abschnitt wissen wir, dass jede differenzierbare Abbildung stetig ist. Also:

Vorlage:Einrücken

Wenn wir auf diese Implikation das Prinzip der Kontraposition anwenden, dann folgt: Unstetige Funktionen sind nicht differenzierbar:

Vorlage:Einrücken

Beispiel: Unstetige Funktionen sind nicht differenzierbar

Nehmen wir als Beispiel die Vorzeichenfunktion

Vorlage:Einrücken

Diese ist im Punkt x~=0 nicht stetig. Also ist sie dort auch nicht differenzierbar. Nehmen wir die Folge xn=1n. Diese konvergiert gegen Null. Wenn die Vorzeichenfunktion differenzierbar wäre, dann müsste der Grenzwert limnf(xn)f(0)xn0 existieren. Jedoch ist

Vorlage:Einrücken

Der Grenzwert existiert nicht in . Damit ist die Vorzeichenfunktion – wie erwartet – nicht differenzierbar im Punkt x~=0.

Nicht jede differenzierbare Funktion ist stetig differenzierbar

Im folgenden Beispiel greifen wir Kenntnisse über Ableitungsregeln vor, die wir erst im nächsten Kapitel ausführlicher behandeln werden. Da jene allerdings meist schon aus der Schule bekannt sind, führen wir das Beispiel bereits jetzt vor:

Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Beispiel

Übungsaufgaben

Hyperbelfunktion

Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Aufgabe

Wurzelfunktion

Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Aufgabe

Bestimmung von Grenzwerten

Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Gruppenaufgabe

Kriterium für Differenzierbarkeit

Mathe für Nicht-Freaks: Vorlage:Aufgabe

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