Beweisarchiv: Analysis: Integralrechnung: Gaußsches Integral

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Formel

Das Gaußsche Integral (nach Carl Friedrich Gauß)

eαt2dt=πα,α>0

spielt in verschiedenen Gebieten der Mathematik eine Rolle. Von besonderer Bedeutung ist der Fall α=12, d. h.

e12t2dt=2π,

etwa in der Wahrscheinlichkeitstheorie (als Normierungsfaktor für die Normalverteilung) oder in der Analysis (als Normierungsfaktor in der Fouriertransformation). Wir können uns im Folgenden beim Beweis dieser erstaunlichen Tatsache auf diesen Fall beschränken, da man die Behauptung für beliebige α>0 sofort durch Anwenden der Substitution

x=2αtdx=2αdt

erhält.

Beweise

Wir setzen für unsere Überlegungen der Einfachheit halber

I:=e12t2dt.

Da man zu f(t)=e12t2 keine elementar darstellbare Stammfunktion finden kann, kann man das Integral leider nicht auf direktem Weg berechnen. Dennoch gibt es eine Reihe von sehr schönen und lehrreichen Beweisen für die erstaunliche Behauptung.

Beweis mit Hilfe von Polarkoordinaten

Der entscheidende Trick für die Berechnung (angeblich von Poisson) ist, auf eine höhere Dimension auszuweichen, was man durch Quadrieren und Anwenden des Satzes von Fubini folgendermaßen erreicht:

I2=(e12x2dx)(e12y2dy)=e12x2e12y2dxdy=e12(x2+y2)dxdy.

Grundlage für die erste Umformung ist die Linearität des Integrals.

Das so entstandene 2D-Integrationsgebiet kann man auch anders parametrisieren: Statt längs kartesischer Koordinaten wird über 2 nun längs Polarkoordinaten integriert, was der Substitution r2=x2+y2 entspricht.

Schneller Beweis

Der Kern dieser Idee wird durch die folgende kurze (jedoch nicht ganz strenge) Rechnung wiedergegeben:

I2=002πe12r2rdφdr=2π0e12r2rdr=2π[e12r2]0a=2πlima(1e12a2)=2π.

Strenger Beweis

Für eine mathematisch einwandfreie Begründung muss man vorsichtiger vorgehen und etwas ausführlicher argumentieren:

Für die weitere Rechnung und zum Beweis der Existenz des uneigentlichen Integrals I definieren wir zunächst:

I(a)=aae12x2dx.

Das uneigentliche Integral I

I=limaI(a)=e12x2dx,

existiert nach dem Lebesgueschen Konvergenzsatz , da man wegen

e12x2dx<1xe12x2dx+11e12x2dx+1xe12x2dx<.

offensichtlich eine integrable Majorante hat. Analog zur obigen Argumentation liefert Quadrieren von I(a)

I(a)2=(aae12x2dx)(aae12y2dy)=aa(aae12y2dy)e12x2dx=aaaae12(x2+y2)dxdy.

Nach dem Satz von Fubini ist das obige Doppelintegral ein Flächenintegral

e12(x2+y2)d(x,y),

bezüglich des Quadrates mit den Ecken {(−aa), (aa), (a, −a), (−a, −a)} als Integrationsbereich in der xy-Ebene.

Da die Exponentialfunktion für alle reellen Argumente größer als 0 ist, ist das Integral genommen über den Inkreis des Quadrates kleiner als I(a)2, und analog dazu das Integral genommen über den Umkreis größer als I(a)2. Die Integrale über die beiden Kreisscheiben können nun durch Übergang von Kartesischen Koordinaten zu Polarkoordinaten leicht berechnet werden:

x=rcosθy=rsinθd(x,y)=rd(r,θ).
02π0are12r2drdθ<I2(a)<02π0a2re12r2drdθ.

Integration liefert:

2π(1e12a2)<I2(a)<2π(1ea2).

Nach dem Einschnürungssatz liefert der Grenzübergang a dann den Wert für das Gaußsche Integral:

e12x2dx=2π.

Beweis mit kartesischen Koordinaten und Fubini

Folgende Herleitung ist noch einfacher, da sie ohne Polarkoordinaten auskommt und ausschließlich auf der Vertauschung der Integrationsreihenfolge nach dem Satz von Fubini beruht:

I2=(e12t2dt)2=(20e12x2dx)(20e12y2dy)=400e12(x2+y2)dxdy

Mit der Substitution

y=xsdy=xds

erhält man dann das gewünschte Resultat:

I2=400e12(x2+y2)dxdy=400e12(x2+x2s2)xdxds=400e12x2(1+s2)xdxds=40[11+s2e12x2(1+s2)]0ds=4011+s2ds=4[arctans]0=2π

Beweis mit Parameterintegral

Die folgende Herleitung kommt sogar völlig ohne Produktintegration aus und macht lediglich Gebrauch von den Eigenschaften von Parameterintegralen.

Auch hier besteht die Idee darin, eine Verknüpfung zum Arkustangens herzustellen. Definiere die Funktionen

F(x):=(0xe12t2dt)2G(x):=201e12x2(1+t2)1+t2dtH(x):=F(x)+G(x)

Wegen

F(x)=2(0xe12t2dt)e12x2G(x)=201xe12x2(1+t2)dt=2(01xe12x2t2dt)e12x2=2(0xe12s2ds)e12x2

folgt

H(x)=F(x)+G(x)=0

Die Funktion H(x) ist also konstant. Insbesondere muss daher auch H(0)=limxH(x) gelten, d. h. aus

H(0)=F(0)+G(0)=G(0)=20111+t2dt=2[arctanx]01=π2

einerseits und

limxH(x)=limxF(x)+limxG(x)=(0e12t2dt)2

andererseits erhält man

(0e12t2dt)2=π2,

was wegen

I2=(e12t2dt)2=4(0e12t2dt)2

auch hier wieder auf I=2π führt.

Beweis mit Gammafunktion

Ein weiterer alternativer Beweis nutzt die Beziehung zur Gammafunktion und zum Wallisschen Produkt aus.

Hierzu drücken wir Γ(12),den Wert der Gammafunktion an der Stelle x=12, auf zweierlei Arten aus:

Zunächst erhält man einerseits aus Definition der Gammafunktion als Integral mittels der Substitution t=x22,dt=xdx

Γ(12)=0ett12dt=0ex222xxdx=20ex22dx=212ex22dx=12I

Andererseits gilt nach der Gaußschen Produktdarstellung der Gammafunktion

Γ(12)=limnΓn(12)=limnn!n1212(12+1)(12+2)(12+n)=limnn!n121232522n+12=limnn!n122n+1135(2n+1)=limn2n12(n!)2(2n)2(135(2n+1))2=limn2n2n+1i=1n(2i)(2i)(2i1)(2i+1)=:wn=limn2n2n+1wn=212π2=π,

wobei wn das n-te Wallissche Produkt ist, für das limnwn=π2 gilt.

Durch Gleichsetzen der beiden Ausdrücke für Γ(12) folgt auch hier wieder I=2π.